Die Achse des Soul – von Harald Fricke

Im Wickelrock

Sie war der Glücksfall des letzten Jahres. Barfuß und im Wickelrock hat sich Joss Stone auf ihrem Debüt „The Soul Sessions“ durch Songs von Aretha Franklin oder den Isley-Brothers gecovert – und damit zwei Millionen Tonträger verkauft. Das ist für eine 17-jährige weiße Britin, die ihren Plattenvertrag bei einem Talentwettbewerb gewonnen hat, nicht gerade der normale Lauf der Dinge. Mit „Mind, Body & Soul“ hat Stone diese Wegstrecke zurück zum Deep Southern Soul der frühen Seventies noch weiter ausgebaut. Zwar merkt man die Aufgeregtheit, manchmal ist Stone vom Erfolg so beduselt, dass sie die nun selbst geschriebenen neuen Lieder einfach frisch herausprustet, anstatt die Stimme dem Drama des Verlassenseins gemäß zuzuspitzen, wie es Soul-Diven sonst machen. Deshalb kommt einem der Gesang auf CD-Länge ein wenig gleichförmig vor, da hätte Produzentin Betty Wright ein paar Feinheiten setzen können, bevor bei Stone der ganz junge Elton John durchbricht. Gerade diese ungestüme Art, singend Dampf abzulassen, ist dann aber faszinierend, wenn sie auf der Single-Auskoppelung „You had me“ vom Ex singt, den sie sitzen ließ, weil ihr sein „sniffing on snow“ auf die Nerven ging. Mag sein, dass Stone nicht über alles Bescheid weiß, was den Soul ausmacht: dafür sagt sie ziemlich Bescheid, wenn sie singt.

Joss Stone: „Mind, Body & Soul“ (S-Curve / EMI)

Schwerer Weihrauch

Ben Harper war lange auf der Suche, um für seine mit der Zeit allmählich zerriebene Stimme die passende Musik zu finden. Immerhin liegen zwischen seiner ersten und der neuen CD „There will be a light“ über zehn Jahre, in denen er Kifferreggae, Soulpop, Blümchenfolk und ein Tribute an Led Zeppelin ausprobiert hat. Jetzt ist er beim Gospel gelandet, was für ihn die beste Wahl sein dürfte. Gemeinsam mit den letzten lebenden Blind Boys of Alabama hat es Harper geschafft, aus dem Rockbetrieb auszuscheren, ohne darüber allzu sehr in Selbstfindungs-Esoterik abzudriften. Da kommt ihm der eigene religiöse Background gelegen, aber auch die Tatsache, dass gestandene Chor-Männer um die achtzig jeden seiner Songs mit Kirchenflair bis in den letzten Bassbrummton grundieren. Nun sind Texte, in denen „Pictures of Jesus“ oder „Church house steps“ besungen werden, schwerer Weihrauch, besonders für Nicht-Christen. Doch in der musikalischen Ungeschliffenheit aus Orgelgehobel und Slidegitarrengefiedel, mit der der Bibelschmuh hier ausgebreitet wird, liegt „There will be a light“ immer noch weit entfernt von der sonntäglichen Predigt in der Crystal Church – und auch von Eric Clapton.

Ben Harper and the Blind Boys of Alabama: „There will be a light“ (EMI)

Himmlische Sphären

44 Jahre vor der Harper-CD waren die Blind Boys of Alabama schon einmal bei einem Sänger zu Gast, der sich vom Gospel auf den Pfad des Pop verirrt hatte. Nein, es geht nicht um Elvis. Dagegen markiert die LP „I Thank God“ von Sam Cooke so etwas wie dessen Rückkehr zu den Roots, nachdem der begnadete Soulsänger in den beiden Jahren zuvor mit „You send me“ oder „Wonderful World“ weltweit in den Hitparaden gewesen war. Cooke konnte zu dieser Zeit offenbar beliebig wechseln zwischen Charts und himmlischen Sphären, das kennt man heute nur noch von Xavier Naidoo. Auch auf der Wiederveröffentlichung ist die ungeheure Wucht spürbar, mit der Cooke, die Blind Boys und die Gospel Harmonettes als weibliches Gegenstück auf dem dutzend Kirchenliedern ihren Gott anrufen. Bei „God’s Goodness“ wird die Ekstase so groß, dass den Gospel Harmonettes mitten in einer der Strophen plötzlich die Stimme wegbleibt. Aber auch Cooke hat trotz der etwas verspielteren Arrangements mit sanft schnurrendem Orchester einiges an der irdischen Last zu tragen, wenn er schluchzend „Deep River“ anstimmt. Die beste Mischung zwischen Diesseits und Jenseits finden derweil die Blind Boys, die in ihrem „This Friend Jesus“ aus dem Stegreif rocken, als wäre der Mann, auf den sich hier alle einigen können, tatsächlich unter ihnen. Dass die Platte sich als Protestmusik in der Bürgerrechtsbewegung gut machte, ist eine andere Geschichte.

Sam Cooke/The Blind Boys/The Gospel Harmonettes: „I Thank God“ (Get Back, nur Vinyl)