Sei nett zu den Nachbarn

Sibylle Berg kennt den Sinn des Lebens – und schickt deshalb ihre Figuren ins Elend. Zum Beispiel zwei mittelalte Frauen in dem Theaterstück: „Das wird schon. Nie mehr lieben!“ Ein Porträt zur Premiere

VON MORTEN KANSTEINER

Man muss sich Sibylle Berg als einen optimistischen Menschen vorstellen. Auch wenn es manchmal schwer fällt. Auch wenn Bettina und Tom, kaum dass sie sich eine Ahnung von Ausgeglichenheit zurechtgelegt haben, auf der Autobahn an einem Lkw zerschellen. Das war vor sieben Jahren in Bergs erstem Roman, dem mit dem langen Titel: „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“. Kurze Zeit später hat die Autorin in „Amerika“ für Bert eine kalifornische Traumexistenz entworfen, nur um sie gegen Ende als drogenbedingte Sinnestäuschung zu entlarven. Ihr „Herr Mautz“, der vor zwei Jahren im Theater Oberhausen zu sehen war, siechte einsam in einem schäbigen Zimmer an einer Malaria dahin. Das sind ein paar der Katastrophen, von denen ein Berg-Text in der Regel mehrere bereithält. Wenn heute „Das wird schon“ am Bochumer Schauspielhaus uraufgeführt wird, geht es ausschließlich um scheiternde Liebe.

Trotzdem: Die Autorin, die ganz in Schwarz im leicht fettigen Licht der Theaterkantine sitzt, strahlt Zuversicht aus. Nicht nur weil sie kürzlich einen Roman geschrieben hat, der „Ende gut“ heißt und überdies gut endet. Sondern auch, weil sie mit ein paar Worten erklären kann, wie das mit dem Sinn des Lebens geht: „Mitgefühl entwickeln und irgendwie schöne Sachen anschauen. Das langt ja.“

Gut, so viel gesteht sie gerne zu: Der Mensch scheint nicht die besten Anlagen mitzubringen. Irgendwie kommt ihm immer sein Egoismus in die Quere. Auch über Umweltbedingungen weiß Sibylle Berg eigentlich wenig Gutes zu berichten. Bei kaum einer anderen Autorin kann man so unterhaltsame Abrechnungen lesen: mit Mittelschichten, Mittelgebirgen, Mittelstädten, aber auch Kleinstädten, Großstädten und anderen Geißeln der Menschheit. Dennoch glaubt sie, dass eine einfache Frage einiges ändern könnte: „Bin ich nett zu meinem Mann, zu meiner Frau, zu meinen Kindern, zu meiner Omma, bin ich nett zu meinen Nachbarn?“ Das klingt nach „The Meaning of Life“ von Monty Python. Wahrscheinlich stimmt es eben. Aber womit fängt man es praktisch an, das gute Leben?

Zuerst braucht es eine gesunde Einsicht in die eigene Sterblichkeit, sagt Sibylle Berg. Da hilft sie gerne ein wenig nach mit ihren Katastrophen. Oder auch das ganz gemeine Altern, wie in dem Stück „Helges Leben“: Circa in Spielfilmlänge tickt da eine Existenz herunter. Dann ist Helge alt, muss sterben, will aber nicht. Weil er nicht begreifen kann, dass sein Leben so eine kleine Sache gewesen sein soll.

Unangenehme Situation, denkt da der Zuschauer, die gilt es zu vermeiden. Genau so funktionieren die Texte von Sibylle Berg: als Abschreckung. Oder, wie sie sagt: „Die Versuchsanordnung, die ich immer zeige, ist ein eingeschränktes negatives Sichtfeld.“ In ihrem neuen Stück ist der Blick auf zwei Frauen gerichtet und auf ihre gescheiterten Männergeschichten, von denen die beiden bei einem Workshop erzählen. Lernziel: Nie mehr lieben.

Die beiden heißen „Frau 1“ und „Frau 2“. Sie sind nicht mehr richtig jung, aber noch nicht richtig alt. Man hat das Gefühl, ihnen schon begegnet zu sein, zum Beispiel in Bergs jüngstem Roman. Verblüffend individuell sind die beiden nicht gerade. Sibylle Berg verbringt ihre Zeit nicht damit, an den Ornamenten origineller Psychen zu feilen. Denn sie entwirft ja Versuchsanordnungen, und da sollten die Ergebnisse übertragbar sein. Auch elaborierte Handlungsverläufe würden nur stören. So etwas wie Handlung mag die Autorin sowieso nicht: „Mich interessieren Geschichten überhaupt nicht. Ich lese nicht gerne Geschichten, ich hasse das, so ‚storytelling‘. Furchtbar.“ Also bastelt sie Konstellationen: ein paar Menschen mit der Standardausstattung an Einsamkeit, Trägheit, Hormonen und Rollenbildern. Die werden zusammen in eine einfache Chronologie gegeben, und bald kann man ein gewisses Elend beobachten.

Insofern schreibt Sibylle Berg Protokolle. Nur ist das ein viel zu nüchternes Wort für diese Texte, in denen ständig etwas in Bewegung ist. Immer wieder brodelt eine kleine Wut hoch, um eine Gewaltfantasie zu formen oder einen Aphorismus: „ … wenn ich weiß, wie es wird, wie jede Minute meines Lebens aussieht, dann muss ich doch nicht dabei sein.“ Worte tollen quer über semantische Felder und grammatikalische Gatter. „Wollen nur wirken, die Worte, die Sau.“

An der Textoberfläche ist also einiges los, besonders in den Stücken. Das muss auch so sein, meint Sibylle Berg. Die Schauspieler dürfen sich schließlich nicht langweilen und die Zuschauer möglichst auch nicht. „Die zahlen relativ viel Geld für das Zeug. Und dann ist es abends, das sind oft berufstätige Menschen, und du kannst die nicht drei Stunden langweilen in unbequemen Sesseln. Das ist unfreundlich.“

Und unfreundlich möchte Sibylle Berg bestimmt nicht sein. Wenn sie dem Premierenpublikum heute ein Dutzend Varianten misslingender Liebe vorsetzt, ist das nicht böse gemeint. Denn wir können ja nach Hause gehen und das Ganze besser machen. Grundsätzlich glaubt Sibylle Berg eben: Das geht.

Vor nicht allzu langer Zeit ist sie übrigens jemandem begegnet. Kann sein, dass der mit ihrer Zuversicht irgendwie verwandt ist. Aber das ist eine andere Geschichte, die sie eigentlich nicht erzählen möchte.