Rätselhafte Kulturkontakte

Man steigt nie zweimal in denselben Fluss der globalisierten Kultur: Die Ausstellung zum „Black Atlantic“-Festival im Haus der Kulturen der Welt zeigt Arbeiten von bildenden Künstlern, die ihr Vokabular aus den Bewegungen der Globalisierung schöpfen

VON MARCUS WOELLER

Einmal eingetreten in den schwarzen Glaskubus, der sich zwischen Kassenschalter und Buchladen zwängt, stellt man fest, dass man zwar von außen nicht hereinschauen kann, aber sehr gut von innen heraus. Die Glasflächen des Raums sind mit einer einseitig durchlässigen schwarzen Folie verspiegelt. Eine Besucherin steht noch draußen und liest den Informationstext, der in weißer Schrift auf der schwarzen Glaswand steht. Von innen beobachtet man, wie sie kurz nachdenkt, sich dann aber doch abwendet. Ein älterer Herr betrachtet zuerst lange sein Spiegelbild, bevor er sich entschließt, den Raum zu betreten.

Die Künstlerin und Filmemacherin Lisl Ponger hat den schwarzen semipermeablen, Voyeurismus gestattenden Würfel als Vorführraum für ihren Film „Phantom Foreign Vienna“ entworfen. Als künstlerischer Eindringling dokumentiert sie in dem Film ihre Besuche in transkulturellen Räumen Wiens. Von 1991 bis 1992 hat Ponger ausländische Veranstaltungen, tibetanische Gottesdienste, togolesische Konsulatsfeiern, türkische Doppelhochzeiten und taiwanesische Familienfeste, besucht und gefilmt. Die Super-8-Schnipsel hat sie jetzt auf 35-mm-Film übertragen und dieses Kinoformat wiederum auf DVD produziert. Weil die Sequenzen nur einige Sekunden lang sind, kann man wenig Atmosphäre aufnehmen. Stattdessen ordnet Ponger die Schnittfolgen nach allen möglichen und unmöglichen Kategorien. Chronologisch, geografisch, situativ, nach Anlässen, Farben, Bewegungen. Sie fokussiert also nicht auf das Fremde, sondern auf unsere Verhalten ihm gegenüber. Wenn das Exotische nicht romantisiert werden kann, wird es beobachtet, geordnet, klassifiziert, verschlagwortet und in Schubladen einsortiert. Die Ausstellungsarchitektur ihrer Arbeit unterstützt diese voyeuristische Heimlichkeit.

Lisl Ponger gehört neben Tim Sharp, Keith Piper und Isaac Julien zu den bildenden Künstlern der Ausstellung im Rahmen des Festivals „Black Atlantic“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Namensgeber des Projekts ist der transkulturelle Raum der schwarzen Diaspora, den der englische Soziologe Paul Gilroy als negativen Kontinent „Black Atlantic“ beschreibt. Dieser verkörpere die historischen, kulturellen und sozialen Kommunikationsnetze zwischen Afrika, Amerika und Europa, die durch die erzwungene afrikanische Migration in die Sklaverei entstanden sind. Kulturübergreifend steht der Begriff aber auch für eine globalisierte Kultur, die ständig im Fluss ist. Diese Bewegungen und ihre Kontaktstellen dienen als Recherchequellen, aus denen die KünstlerInnen ihr Vokabular schöpfen.

Der britische Filmkünstler Isaac Julien beschäftigt sich seit langem mit Identitätsbildung und der Übernahme verschiedener kultureller Eigenarten, der so genannten Transkulturation. In Berlin zeigt er jetzt außer der Arbeit „Paradise Omeros“, mit der er schon auf der Documenta 11 vertreten war, die Filminstallation „True North“ und damit verbundene Fotografien. Die Dreifachprojektion von 16-mm-Filmmaterial zeichnet sich durch ihre visuelle Opulenz aus. Bilder werden verdoppelt, gespiegelt. Verzögerungen, minimale Abweichungen des Kamerablickwinkels und die Veränderung der Brennweite werden nebeneinander projiziert oder springen von einer Leinwand auf die andere. Ebenso werden die narrativen Elemente gedehnt und aus ihrem zeitlichen und räumlichen Kontext gerissen. Inspiration für die geheimnisvolle Person, die sich in den Filmfragmenten durch eine eisige Schneelandschaft kämpft, war der afroamerikanische Forschungsreisende und Inuit-Dolmetscher Matthew Henson, der den Nordpolentdecker Robert Peary auf seine arktischen Expeditionen begleitete. Das Erhabene der Natur korrespondiert mit dem Rätselhaften des fremden Kulturkontakts.

Alte, kolorierte Fotografien von so verschiedenen Inselregionen wie Helgoland, das einst im kolonialen Ränkespiel gegen Sansibar getauscht wurde, und Venedig, der erfolgreichsten Handelskultur in der Geschichte Europas, nimmt der schottische Künstler Tim Sharp als Grundlage seiner Serie „I_D_Entities / SCRAM“. In die altmodischen Seestücke collagiert er das Foto einer jungen Berberfrau aus Nordafrika, die sich mit Denkerpose und fragendem Blick an den Betrachter wendet. Zitate aus einem Handbuch zur Aufgabe einer alten Identität und Annahme einer neuen vervollständigen die Bild-Text-Konstruktionen. Wie einfach oder schwierig ist es wohl, das alte Ich aufzugeben und sich mit einem neuen Ich zu identifizieren?

Die deutsche Nazi-Herrschaft hatte es sich besonders zum Ziel gesetzt, das Ego all jener zu brechen, die aufgrund ihrer Überzeugung, Herkunft oder Hautfarbe jenseits der Staatsideologie standen. Dazu gehörten auch die wenigen in Deutschland lebenden Schwarzen. Keith Piper, in Malta geborener Multimedia-Künstler, hat ganz gewöhnlichen, aber schwarzen Biografien aus der Mitte des 20. Jahrhunderts nachgeforscht. Deren Erinnerungen präsentiert er in seiner Klanginstallation „Sounding Gallery“. Drei schematisierte Wohnzimmer hat Piper ins untere Foyer des Hauses der Kulturen der Welt gestellt. Die Wände bestehen aus leeren Regalen, möbliert sind die Zimmer jeweils mit Tisch, Stehlampe und zwei Sesseln. Dort Platz genommen, lauscht man den Erzählungen aus dem Leben etwa eines Tierpflegers und Zirkusartisten oder einer Sängerin während des Nationalsozialismus. Die Berichte werden von jungen schwarzen Deutschen der nachgeborenen Generationen gelesen, die über ihre Betonung die ganz eigenen Erinnerungen anklingen lassen.

Bis 15. November, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Di.–So. 10–21 Uhr, Katalog: 23 €