Chinas KP entdeckt die Wanderarbeiter

Weil um ihre Löhne geprellte Wanderarbeiter mit ihren Protesten die Stabilität des Landes gefährden, will die Regierung ihnen jetzt zu ihrem Recht verhelfen. Das ist selbst bei direkter Intervention des Premiers nicht einfach

PEKING taz ■ Manchesterkapitalismus in China: Millionen Wanderarbeiter werden systematisch um ihre Löhne betrogen. Rund 360 Milliarden Yuan (etwa 36 Milliarden Euro) schulden staatliche und private Firmen ihren Beschäftigten. Manche haben seit zehn Jahren statt ihres Lohns nur eine winzige Unterhaltszahlung erhalten, gab kürzlich Vizepremier Zeng Peiyan in Peking zu. Sogar bei zentralen Regierungsprojekten wie der neuen Pekinger U-Bahn gingen die Arbeiter leer aus.

Die Regierung unter Staats-und Parteichef Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao, die seit März 2003 amtiert, will das Unrecht nun beenden. Sie ordnete an, bis spätestens 2006 alle überfälligen Gelder auszuzahlen. Wer in einem wichtigen Regierungsvorhaben beschäftigt ist, soll bereits bis Ende 2004 seinen Lohn erhalten. Rund 140 Millionen Männer und Frauen gelten als so genannte Wanderarbeiter, weil sie ihre Felder und Dörfer verlassen, um in Fabriken, auf Baustellen und Märkten Geld für sich und ihre Familien zu verdienen. Ohne sie Chinas Wirtschaftswachstum von fast 10 Prozent nicht möglich.

Weil sie offiziell nicht als Stadtbewohner registriert sind, genießen die Arbeiter vom Land kaum gesetzlichen Schutz und kein Anrecht auf Sozialversicherung. Sie dürfen keine unabhängigen Interessenverbände gründen, und die staatlich kontrollierte Gewerkschaft ist erst seit 2003 auch für sie zuständig.

Doch die Gewerkschaftsfunktionäre konnten bislang nicht viel mehr tun, als die Situation zu beklagen. Da die meisten Wanderarbeiter keinen Arbeitsvertrag haben, die Vorschriften vage und die Richter vielerorts korrupt sind, konnten säumige Arbeitgeber bisher oft nicht zum Zahlen gezwungen werden. Um ihr Geld einzufordern, streiken vielerorts verzweifelte Arbeiter, andere besetzen ihren Arbeitsplatz, sperren Straßen oder drohen sogar mit kollektivem Selbstmord, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen.

Die Partei fürchtet, die Proteste könnten sich ausbreiten. Hu Jintao und Wen Jiabao präsentieren sich deshalb gern als Fürsprecher der Reformverlierer. Chinas Medien berichteten in den letzten Monaten öfter, dass der Premier sich für einzelne Arbeiter einsetzte. Doch selbst seine Macht ist begrenzt, wie der Fall eines Bauarbeiters in der Provinz Heilongjiang zeigt: Dreimal musste Wen intervenieren, bis der Mann sein Geld bekam.

Nicht immer steckt böser Wille hinter der ausbeuterischen Praxis: Oft sind die Kassen der Gemeinden schlicht leer. Bankkredite sind für die Lokalregierungen derzeit schwer zu bekommen, da Peking verhindern will, dass sich die Wirtschaft überhitzt. Folge: Noch mehr Löhne werden nicht ausgezahlt. Säumig sind, so weit bekannt, derzeit über 124.000 Projekte.

Chinesische Gewerkschafter fordern inzwischen, den Schutz der Wanderarbeiter grundsätzlich zu verbessern und ihre Rechte zu stärken. „Wir hoffen auf neue Vorschriften mit spezifischen Paragrafen, die eine sofortige Lohnauszahlung für jeden Arbeiter garantieren“, so Ding Dajian vom Allchinesischen Gewerkschaftsbund. Wenn überhaupt, empfangen die meisten Bautrupps ihren Lohn nur einmal im Jahr – vor der Heimkehr aufs Land zum Frühlingsfest. Bis dahin gibt es allenfalls ein winziges monatliches Taschengeld.

JUTTA LIETSCH