Lehrer, du kannst stark sein!

Hoher Selbstanspruch und ein idealisiertes Lernbild treiben Lehrer häufig in die Verzweiflung. Psychologen empfehlen als Rezept gegen das innere Ausbrennen: Mach dich selbstbewusst!

VON JULIANE GRINGER

Sie haben Angst vor dem nächsten Elternsprechtag. Der Lärm in den Klassen zerrt an ihren Nerven. Irgendwann können sie ihre Kollegen nicht mehr ertragen, vielleicht nicht einmal mehr ihre eigenen Freunde: Lehrer mit „Burnout“-Syndrom. Ein Drittel der Pädagogen ist betroffen. Sie sind dauerhaft erschöpft, dem Alltag nicht mehr gewachsen. Sie fühlen sich eingeklemmt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die jüngste OECD-Studie widmet sich ganz den Lehrern. Sie fordert neues Verständnis für die gebeutelten Pädagogen ein.

Nur einer von zehn Lehrern hält bis zur Rente durch. Die anderen 90 Prozent scheiden früher aus dem Beruf aus – die Hälfte von ihnen, weil sie psychosomatisch oder psychiatrisch erkranken. Mit „Burnout“ fasst dann der Therapeut eine Palette zermürbender Symptome zusammen. Die Lehrer werden depressiv, sind schnell müde, fühlen sich einsam, nutzlos und am Ende ihrer Kräfte. Hilfe suchen sie sich meist erst spät, ertragen lieber die Qual. Mehr als 130 verschiedene Anzeichen gibt es für das Phänomen, das bei der WHO nicht als Krankheit registriert ist. „Schon bei der Frage meiner Tochter, wo die Busfahrkarte für den nächsten Monat ist, raste ich innerlich total aus und zerschneide mir den Körper“, berichtet eine Grundschullehrerin in einem Online-Forum.

Als Patienten kommen Betroffene in der Regel mit der Diagnose Depression in psychotherapeutische Behandlung. Oder sie haben Ängste, etwa eine Art Panik vor möglicher Kritik der Eltern. Im Vergleich mit anderen Berufsgruppen sind Lehrer überdurchschnittlich oft vom inneren Ausbrennen betroffen. Dabei bescheinigt man ihnen gerne eine lange Liste von Privilegien: frühe Feierabende, lange Ferien, sehr viel Freizeit. Und eine Verkäuferin muss sich schließlich auch mit frechen Kunden rumschlagen. Als Bewerber träumen die künftigen Lehrer noch vom idealen Unterricht oder so etwas wie dem Nürnberger Trichter. Wer soll ihnen diese Illusion nehmen, wenn nicht sie selbst?

Die Ausbildung könnte es. Aber an den Universitäten wird kaum gelehrt, wie der Berufsalltag zu meistern ist. Kommunikationstrainings gibt es dort nicht. „Deshalb sind teilweise schon Referendare völlig überfordert“, so Andreas Hillert, Oberarzt an der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. Der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin hat das „Anti-Burnout-Buch für Lehrer“ geschrieben.

Hillert rät Pädagogen, sich von übertriebenem Perfektionismus zu befreien und zu akzeptieren, dass es im Alltag ganz natürlich Reibungspunkte geben muss. „Professionalisierung des Lehrerberufs ist ein wichtiges Stichwort.“ Mit Supervisionen könne man zum Beispiel den Umgang mit schwierigen Situationen im Job trainieren – auch zur Vorbeugung eines Kollaps. „Wünschenswert wäre zum Beispiel, dass jeder Pädagoge alle ein bis zwei Jahre Bilanz zieht, ob er mit sich und seiner Arbeit zufrieden ist und gegebenenfalls Hilfe sucht“, sagt der Mediziner.

Auch das Umgangsklima in den Schulen müsste sich ändern. Bei einer Untersuchung der Uniklinik Freiburg bezeichneten es befragte Lehrer als besonders belastend, wenn sie in großen Klassen oder viele Stunden unterrichten müssen, wenn sich Schüler destruktiv verhalten, oder wenn es gilt, private mit beruflichen Verpflichtungen zu vereinbaren. Die Autoren glauben, dass nicht neue Bildungsstandards die Situation der Pauker verbessern können, sondern der „schulische Beziehungsalltag“ renoviert werden muss.

Ähnliches hat das Weiterbildungsstudium Arbeitswissenschaft an der Universität Hannover auf der Suche nach Gefährdungen am Lehrer-Arbeitsplatz Schule herausgefunden, innerhalb des Pilotprojekts „bugis“ für das niedersächsische Kultusministeriums. Für mehr als drei Viertel der befragten Lehrkräfte waren laute Schüler, auffälliges Schülerverhalten sowie große Klassen „stark oder ziemlich stark“ belastend. „Meistens fehlt es schlicht an Absprachen unter den Kollegen und gegenseitiger Unterstützung“, glaubt Simone Schad von bugis. „Die meisten Schulen kannten nicht einmal Mitarbeiterbesprechungen.“ Im Arbeitsschutz an Schulen nehmen offenbar Stolperstellen und andere Unfallgefahren mehr Platz ein als die psychologische Betreuung.

Die Schüler kann man nicht alleine verantwortlich machen für die schlechte Stimmung in den Schulen. Das Schulniveau hat auf die Zahl von ausgebrannten Lehrern keinen Einfluss. Nicht selten üben jedoch Kollegen und die Schulleitung Druck aus, statt zu unterstützen.

Hilfe aus der sozialen Umgebung ist aber wichtig für die Leistungsfähigkeit. Lehrer mit Kindern sind, obwohl sie Familien- und Berufsleben vereinbaren müssen, weniger von psychosomatischen Erkrankungen bedroht. Alleinstehende, besonders Lehrerinnen um die 50 Jahre, erkranken dagegen häufig. Am stärksten trübt aber immer noch ihr schlechter Ruf die Lehrer. Fast keiner scheint auf ihrer Seite. Die Eltern kooperieren nicht, sondern erwarten Lösungen für Probleme, die sie zu Hause nicht in den Griff bekommen. Die Schüler wollen nicht lernen. Die Gesellschaft sieht die Lehrer gern als Faulpelze. Viele von ihnen trauen sich nicht einmal mehr zu sagen, welchem Beruf sie nachgehen.

Schlussendlich sind es die Lehrer selbst, die ihre Illusionen über einen komplikationslosen Berufsweg verwerfen müssen. Helen Watt, Dozentin für Erziehungspsychologie an der Universität of Western Sydney, hat in Zusammenarbeit mit Paul Richardson von der Melbourner Monash University untersucht, warum Lehrer Lehrer werden wollen. Flexibilität, mehr Zeit für die Familie und Sicherheit stehen auf der Liste ganz vorn. Das klingt nach dem klischeehaften Drückeberger. Gleichzeitig setzen sich die meisten Pädagogen aber selbst massiv unter Druck und verausgaben sich völlig, um in ihrem Job erfolgreich zu sein. Dann ist es eine Frage der Persönlichkeit, ob sie Burnout-gefährdet sind. Risikogruppe sind die, die alles geben, aber schnell resignieren und zurückhaltend sind, wenn es darum geht, Probleme offensiv anzugehen.

Andreas Hillert betreut jährlich rund 200 ausgebrannte Lehrer: „Viele Patienten schleppen ihre Beschwerden schon sieben bis zehn Jahre mit sich herum, bevor sie zu uns kommen, mitunter auf vehemente Initiative des Amtsarztes.“ Die Betroffenen sehen ihren Beruf als Ursache für ihre Beschwerden, „gleichzeitig glauben sie aber auch, nur sehr wenig an der schulischen Situation verbessern zu können“. Seit sechs Jahren sammeln Hillert und seine Kollegen Daten zum Thema. Demnach engagieren sich erkrankte und gesunde Lehrer gleichermaßen. Ausgebrannte haben jedoch eine besonders idealistische Vorstellung vom Berufsbild. „Viele wollen beispielsweise als Lehrer zum Freund des Schülers werden oder immer gerecht urteilen. Das ist de facto unerreichbar, weil zu unkonkret oder mit der Schulrealität zunehmend unvereinbar. Es fehlen Grenzen, die sie sich selber setzen müssen“, so der Experte. „Diese Lehrer überfordern sich selbst, wollen perfekt sein, laufen unerreichbaren Zielen nach und sind dann zwangsläufig frustriert.“

Solcher Perfektionismus sorgt nicht für besseren Unterricht, sondern für verkrampfte Lehrkräfte. Da kommen zwei Lehrerinnen mit Depressionen in die Therapie – und haben dicken Aktentaschen voller Hefte dabei. Die Zeit in der Klinik wollen sie nutzen, um die bereits gründlich durchgesehenen Diktate noch einmal zu kontrollieren. Dabei müssen sie eigentlich lernen, realistischer zu werden, zu akzeptieren, dass Probleme mit Schülern, Eltern, Direktorat im Alltag einfach natürlich sind.

Neben den Lehrern trifft der dauerhafte Erschöpfungszustand Menschen in Sozialberufen, Manager und Kreative. Auch starke Hierarchien können depressiv machen: wenn trotz hohem Arbeitseinsatz kein Erfolg sichtbar ist oder keine Bestätigung kommt. Die Psychologie führt das Stichwort „Selbstwirksamkeitserwartung“ an. Ist die hoch, kommen Lehrer auch im stressigen Schulalltag gut klar. Prinzip: Wer seine Kompetenzen im Umgang mit Problemen als hoch einschätzt, sein Verhalten also für „wirksam“ hält, ist entspannter. Oder: Erfolge, die man auf die eigene Anstrengung zurückführen kann, machen selbstsicher. Das muss man lernen. „Mach dich selbstbewusst und du kannst es schaffen.“ Klingt wie ein abgedroschenes Mantra aus Psycho-Ratgebern, kann für Lehrer aber zur wichtigen Burnout-Waffe werden.