Unlauterer Quotenquatsch

Die Debatte um die Einführung einer Radioquote für deutschsprachigen Pop ist schnell versandet. Was kein Wunder ist: Es ging ja auch nie um gute Musik, sondern immer nur um Befindlichkeiten

VON ADAM LUX

Pünktlich zur Musikmesse Popkomm war’s, da stritten sich Künstler, Plattenbosse, Politiker und Senderverantwortliche mal wieder um eine Radioquote für deutsche Musik. Pünktlich zur Buchmesse ist die Debatte auch schon wieder verstummt. Zeit also für eine ästhetische Nachlese, zumal der kulturpolitische Zombie dieser Debatte bei nächstbester Gelegenheit wieder angewankt kommen wird. Und weil sich seit gestern zwei Neueinsteiger in den Charts die ersten beide Plätze teilen, Rammstein mit „Reise, Reise“ und die Fantastischen Vier mit „Viel“.

Nachwuchskünstler hätten nur dann eine Chance, wenn Musik aus Deutschland ein fester Anteil am Programm garantiert werde, hatte Wortführer Udo Lindenberg erklärt – im Namen der 500 Künstler umfassenden Initiative „Musiker in eigener Sache“, aber auch in eigener Sache, weil derzeit ohne Plattenvertrag. Dabei ist nicht zu bemängeln, dass Peter Maffay, Reinhard Mey, Xavier Naidoo, Hartmut Engler und Konsorten längst ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben. Das Problem ist vielmehr, dass Popschaffende, haben sie erstmal eine gewisse Prominenzschwelle übertreten, sich selbst für Kulturpolitiker halten. Und darin ebenso kläglich versagen müssen wie umgekehrt ein Rudolf Scharping scheiterte, als er die Refrains der Gruppe Pur nachzusingen versuchte.

Die Debatte war so hohl und hinfällig, dass sie umso leidenschaftlicher und lauter geführt werden musste. Am Ende beschwor gar der ehemaliger französische Kulturminister Jacques Toubon im Bundestag „l’identité de votre peuple“ und wies auf die „sehr positiven Erfahrungen“ hin. Seit der Einführung der Quote 1994 ist der Absatz französischer Platten gestiegen. Aber sind Daft Punk, Air oder Phoenix international erfolgreich, weil sie zuvor im Treibhaus heimischer Kulturförderung fit gemacht wurden? Oder weil sie, pardon, gute Musik machen?

Wenn wir aber, was schwer fällt, von Serge Gainsbourg, Françoise Hardy und France Gall einmal absehen, dann war die Kulturnation Frankreich bis dato in der Popwelt schlicht nicht vertreten: im krassen Gegensatz zu deutschen Künstlern, die „im internationalen Markt“ nachhaltig Spuren und einen Eindruck hinterlassen haben. Von denen Udo Lindenberg und seine Freunde nur träumen könnten, fehlte ihnen nicht sogar dazu die Fantasie. Eher wird mit den Augen gerollt, wenn englische oder US-amerikanische Künstler wieder und immer wieder Hymnen auf die frühen Tangerine Dream, auf Kraftwerk oder Neu! anstimmen.

Der Einfluss des quotenlosen Krautrock auf angloamerikanische Künstler ist jetzt erst ansatzweise zu überschauen. Pop ist im Kern staatenlos und global – umso absurder, dass eine Antje Vollmer in diesem Zusammenhang glaubte, die Globalisierung geißeln zu müssen.

Dass global agierende Plattenfirmen nivellierten Plunder verkaufen, dass Radiosender diesen Stoff senden wollen oder müssen, ist die eine Sache. Niemand ist zum Zuhören gezwungen. Schade nur, dass sich inzwischen auch Künstler dieses merkantile Selbstverständnis anverwandeln – und Verkaufszahlen zum Maßstab ihrer Arbeit machen. Wer, wie etwa Dieter Bohlen, seine Arbeit als „Produkt“ begreift, der mag den Markt begriffen haben. Er unterscheidet sich dann aber nicht mehr von einem Glühbirnenhersteller und ruft nach Protektionismus, dem Gegenteil also von Kreativität.

Wohin das führen muss, zeigt das traurige Beispiel staatlich sanktionierter DDR-Musikproduktion, von den Puhdys bis Karat: in die künstlerische Sackgasse, international etwa so konkurrenzfähig wie ein Trabant.

Wem es um einheimisches Kulturgut geht, der soll sich erstmal die eben neu aufgelegten vier ersten Platten von Can kaufen und anhören – oder für immer schweigen.

Buchverlage kaufen für gutes Geld vorzugsweise in angelsächsischen Terrains Lizenzen für Erfolg versprechende Bücher ein, ohne dass jemals ernsthaft eine Quote für Literatur aus Deutschland gefordert worden wäre. Aber das, zum Schluss der Debatte, nur ganz am Rande.