Angenehm folklorefrei

Buchmessern (3): Wertschätzungsbekundungen zwischen den Kulturen und Buchwichtigkeitsbeschwörungen der Deutschen – Frankfurter Eröffnung

Es ist dies ein Moment, für den von Volker Neumann über Amr Mussa, den Generalsekretär der Arabischen Liga, bis zu Dieter Schormann alle Buchmessenbeteiligten sicher genauso dankbar gewesen wären. „Bohumil Hrabal!“, entfährt es einer jungen Frau in einem Absturzschuppen um den Römer herum, als sie hört, dass ihre Gegenüber wegen der Buchmesse in Frankfurt sind. „Bohumil Hrabal, das ist der Größte“, sagt sie noch einmal und verschwindet zu einem Schmachtfetzen von Usher auf die Tanzfläche. Ein Bohumil-Hrabal-Fan in einer an eine R&B-Klitsche gemahnenden Dienstagsbar für Jungbanker, in der es in dieser Nacht um alles, nur nicht um Literatur geht – das ist doch was! Wenn da mal nicht die Literatur ihre Wirkung getan hat!

So lässt sich eine Buchmesse gleich viel besser an, zumal sie einem bei der Eröffnung schon viel Geduld abverlangt hatte. Kurz vor 17 Uhr versetzte ein Sprengstoffalarm Polizei und Sicherheitsdienste in erhöhte Bereitschaft, sodass vor den Türen des Kongresscenters so gut wie nichts ging: Nur einzeln wurden die Gäste nach aufwändigem Sicherheitscheck hereingelassen. Zu einem ersten Geheimnis dieser Messe gehört es, warum später doch alle Wartenden in einem Stoß und praktisch unkontrolliert reingelassen wurden – da schien die Einhaltung des Zeitplans wieder oberste Priorität zu genießen.

Das merkte man auch Buchmessendirektor Neumann an, der unwirsch die zahlreichen Fotografen von der Bühne scheuchte, die Ägyptens First Lady Suzanne Mubarak und Gerhard Schröder umlagerten. An der Grenze zur Peinlichkeit bewegte Neumann sich dann bei der Vorstellung der deutschen Politiker, als er biografische Anekdoten zum Besten gab. So erfuhr man, dass Petra Roth Offizierin der französischen Ehrenlegion ist, Schröder der erste Parlamentarier der Bundesrepublik war, der ohne Krawatte eine Rede hielt, und der Ausdruck „Landesvater“ für Roland Koch einem 62-Jährigen wie Neumann schwer über die Lippen geht. Es schien, als wollte Neumann in dieser Form allen bösen Roths, Kochs und Börsenvereinsaufsichtsräten dieser Welt bedeuten, dass er nach der Nichtverlängerung seines bis 2005 datierten Vertrages schon dieses Jahr die Segel streicht und keinen Nachfolger mehr einarbeitet.

Schröder focht das bei seiner „Jungfernrede“ (Neumann) nicht an. Er hielt eine reife, teils von Applaus begleitete Rede, in der er davor warnte, pauschale Urteile über den Islam oder die Muslime zu fällen, und betonte, dass es keinen Kampf der Kulturen gebe, sondern nur einen Kampf gegen den Terrorismus, der ein Kampf für die Kulturen und ihre Verschiedenartigkeit sei. Nach Streifen des ungelösten Nahostkonflikts sowie dem Signalisieren des festen Willens Deutschlands, Aufbauhilfe für den Irak zu leisten, schloss er mit einem arabischen Sprichwort: „Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt.“ Der Rest war Malen nach Zahlen in Form von Wertschätzungsbekundungen seitens der Araber und Buchwichtigkeitsbeschwörungen der Deutschen, wobei Nagib Mahfus darauf hinwies, dass der Islam eine Religion sei, die „über ein gewaltiges Maß an Toleranz verfügt“, und zu ihren Werten auch die Freiheit gehöre.

Solcherart gestärkt, konnte man dann einen ersten Blick in den angenehm folklorefreien und fast nur mit Büchern gestalteten arabischen Pavillon werfen, um später im Frankfurter Hof beim Empfang des Berlin-Verlages wieder einmal feststellen zu können, dass sich der Literaturbetrieb beim Partyfeiern treu bleibt: gleiche Stelle, gleiche Stunde, alle Jahre wieder. Nur gut, dass es auch eine Welt draußen gibt, wo junge Tschechinnen statt Klopstock „Bohumil Hrabal!“ rufen. GERRIT BARTELS