Wirbelnde Jagden

Robert Stones genauso eigenartiger wie großartiger neuer Roman „Die Professorin“

VON ANDREAS MERKEL

Michael Ahearn ist Literaturprofessor in einer kleinen Universitätsstadt im Mittleren Westen der USA, Familienvater und Held dieses großartigen Romans. Er unterrichtet das Genre des Vitalismus, den er dabei mit seinen „überheblichen Antinomisten und gehemmten Libertins“ ebenso ablehnt wie andererseits jede Art von übertriebener intellektueller Selbsterforschung („Es langweilte ihn, über die Ätiologie seiner eigenen Erektionen nachzudenken, seiner eigenen Einsichten, literarischer und intellektueller Art“). Lieber geht Michael mit Freunden auf die Jagd, einfach nur der Gemeinschaft wegen und um sich in der überwältigenden Landschaft der Upper Plains aufzuhalten. Am Erlegen von Tieren ist er eher desinteressiert, das Tragen von Waffen nimmt er als reine Notwendigkeit in Kauf: „Ein Mann musste ein Gewehr tragen, im tiefen Wald, im Winter. Es war einem unbehaglich, man wurde misstrauisch, wenn man im Wald jemandem ohne Gewehr begegnete. Die Farmer, die in der Saison Jäger auf ihrem Land willkommen hießen, fürchteten sich vor jedem unbewaffnet herumstreunenden Eindringling.“

Willkommen im ländlichen Amerika, in dem sich Michael jedoch so gut es geht eingerichtet hat. Er genießt die Bodenständigkeit hier ebenso wie die kleinen Freiheiten des In-Ruhe-gelassen-Werdens. So zum Beispiel, als ihm auf dem Campus die ebenso schöne wie enigmatische Politikwissenschaftlerin Lara Purcell über den Weg läuft. Diese Lara (der Roman nimmt sich die Ungezwungenheit, seine Hauptprotagonisten mit dem Vornamen anzusprechen) erinnert mit ihrer weißen Haarsträhne und intellektuellen Scharfzüngigkeit zunächst an eine Art idealisierte Susan Sontag, entstammt jedoch einer reichen Familie aus der Karibik und wird für Michael schnell zum faszinierenden Mysterium, dem er im Internet hinterherrecherchiert.

Denn Lara entpuppt sich als ehemalige „Einflussagentin“, die nach ihrem Studium an europäischen Eliteuniversitäten gemeinsam mit ihrem Mann zunächst für die Sowjetunion, dann auch als Doppelagentin für die Amerikaner gearbeitet hat. Ihr werden Bettgeschichten sowohl mit Fidel Castro als auch Graham Greene nachgesagt, sie soll – nicht unüblich für den amerikanischen Geheimdienst – in den Drogenhandel mit Lateinamerika verwickelt gewesen sein und wurde schließlich von einflussreichen Right-Wing- Republikanern, denen sie immer noch nahe steht, an eben jener Provinz-Uni „geparkt“, wo sie nun eine heftige Affäre mit Michael beginnt.

Dieser hat sich von seiner asketisch religiösen Ehefrau längst entfremdet, nur um bei seiner neuen Geliebten dafür auf eine ganz andere Art von Fremdheit und Spiritualität zu stoßen: Lara ist neben zahlreichen Geheimbünden und Logen immer noch tief verbunden mit den Ritualen des Voodoo-Kults, wie er in ihrer Heimat, der (fiktiven) Karibikinsel St. Trinity, praktiziert wird.

Nach St. Trinity begleitet Michael sie schließlich auf einen „Tauchurlaub“, bei dem es jedoch vor allem darum geht, Laras von ihrem toten Bruder geraubte Seele bei dem gefährlichen Ritual des retirer les morts zu retten. Michael nimmt an der verstörenden Erweckungszeremonie teil und wird darüber hinaus auch noch in alte Drogengeschäfte Laras verwickelt, während auf der Insel die Revolution, eine Militär-Junta im Kampf gegen US-unterstützte Kontrarevolutionäre, tobt …

„And then things fall apart and, of course, in falling apart they come together“, wie Robert Stone im Interview das Ende seines Romans „Die Professorin“ zusammenfasst, der in den USA unter dem Titel „Bay of Souls“ erschien.

Der hierzulande noch völlig unbekannte Stone wurde 1937 in Brooklyn geboren, gehörte in den Sechzigerjahren Ken Keseys „Merry Pranksters“-Clique an und wurde bald darauf mit anspruchsvollen Politthrillern zum Erfolgsautor, der – obwohl mit dem Faulkner-Preis und National Book Award ausgezeichnet – auch in Amerika immer noch ein wenig zu den eigentümlich vernachlässigten Schriftstellergrößen gehört.

Eigenartig ist auch sein Roman „Die Professorin“, der in seiner novellenhaften Dichte und Kürze etwas aus dem sonstigen Werk Stones herausfällt. Was den Roman zunächst und trotz allem zu nicht weniger als einem Meisterwerk macht, ist die präzise, poetische Skepsis, mit der Michael neben sich steht, unter der eigenen Intellektualität leidet und der gespenstisch überzeugende Zustand zwischen Sehnsucht und Selbstaufgabe, mit dem er sich schließlich in das Abenteuer mit Lara stürzt. Was den Roman dann in seinem karibischen Mittelteil jedoch fast scheitern lässt, sind ein paar erzählerische Schwächen, die allesamt mit eben dieser weiblichen Hauptfigur zu tun haben und die einem so erfahrenen Autor wie Stone eigentlich nicht unbeabsichtigt unterlaufen können.

Denn natürlich ist die Figur des Agent of Influence Lara so überladen und unwahrscheinlich wie drei von Costa Gravas gedrehte James-Bond-Filme zusammen. Jedes Mal, wenn es um Laras Geheimdienst-Background geht, muss sich die Story in irgendwelchen Insider-Andeutungen und Antäuschungen verlieren, um überhaupt noch einen letzten Rest von Glaubwürdigkeit zu bewahren. Andererseits, denkt man zwischenzeitlich und ohne dass es dem Roman viel helfen würde: Sind solche Karrieren wie die Laras nicht gerade und überhaupt nur mit so einem „unglaublichen“ Zusammenfall von verschiedensten Beziehungen und Seilschaften möglich? Immerhin wird kurz die obskure Studenten-Loge der „Skull and Bones“ erwähnt, die es in Yale tatsächlich gibt und der sowohl George W. Bush als auch John Kerry angehörten.

Wenn sich die sonst so intellektuelle Lara dann noch in ihren bedrohlichen Santeria-Ritualen verliert, gilt das leider auch für Michael, den Leser und den ganzen Roman, dessen Binnenlogik Robert Stone auf diesem Wege wohl ganz bewusst zerstören wollte. Mit der Vernunft am Ende kommt Michael Ahearn schließlich– so viel sei verraten– nach Amerika zurück, in eine Heimat, deren Bräuche plötzlich so fremd wie die bizarrsten Voodoo-Kulte erscheinen: „Die Rotwildsaison begann. Die kahlen Bäume in Fort Salines waren wieder mit Kadavern behängt.“

Robert Stone: „Die Professorin“. Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein. Marebuchverlag, Hamburg 2004. 294 S., 19,90 Euro