MATTHIAS URBACH über PERFEKTER KAUF
: Kaufen da nur noch Nostalgiker?

Die Kaufhäuser sterben, obwohl sie Konsumoasen in der Discountwüste sind. Dagegen muss man doch was machen!

Mein Kumpel Robert, der alte Sozi, gratuliert mir beim Bier zum Kauf unseres Citroëns. „In Frankreich arbeiten die wenigstens noch 35 Stunden.“ Er wollte sich eigentlich wieder einen Mercedes zulegen, A-Klasse. Jetzt folgt er einem anderen Stern: „Nach der Belegschaftserpressung in Sindelfingen, nee, da fahr ich lieber einen Peugeot!“

Früher hätte Robert nichts auf deutsche Autos kommen lassen. Doch die neuen heimatlosen Konzerneliten und ihre Sparideologie machen seinem Gewerkschafterherz zu schaffen. „Auch Karstadt ist für mich gestorben! Gliedern einfach 77 Filialen aus, diese Verbrecher!“

Das Thema Karstadt bewegt nicht nur ihn. Ich kann mich nicht entsinnen, wann ein Firmenschicksal je so sehr berührte. Und nicht nur, weil hier die Angestellten wieder einmal für die Fehler der Luschen im Chefsessel bluten müssen. Karstadt ist so was wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen: Es sichert die Grundversorgung. Welcher Einzelhändler gab noch nie den Rat: „Versuchen Sie’s mal bei Karstadt“, weil er was nicht hatte?

Auch bei mir in Berlin-Neukölln, eingekreist von Discountern, sind neben Rumpelstielzchen – unserem kleinen Bioladen – Karstadt und Hertie die einzigen Konsumoasen. Doch Hertie steht nun auf der Abstoßliste des Karstadt-Konzerns. Wo sonst bekomme ich auf einen Schlag Süßkartoffeln, Pastinaken, Spitzkohl und konservierungsmittelfreie Schupfnudeln, wenn nicht im Lebensmittelkeller von Hertie und Karstadt? Und nur zwei Rolltreppen entfernt die perfekte Wokpfanne dafür? Früher beklagten sich Einzelhändler zu Recht über die mächtige Konkurrenz. Heute sind sie verschwunden und die Kaufhäuser letzte Zuflucht für Qualitätskäufer.

„Ist doch unlogisch!“, entgegne ich Robert. „Wenn du die boykottierst, müssen die erst recht dichtmachen!“ – „Mir doch egal!“, ruft er und leert sein Pils.

Wieso ausgerechnet Karstadt? Die haben wenigstens noch einen Betriebsrat zum Jammern – Aldi und Co lassen den gar nicht erst zu. Bei Karstadt kann man noch Kassiererinnen antreffen, die einen an leerer Kasse freundlich erwarten. Bei Aldi wird man selbst zum Glied der Wertschöpfungskette: Während man versucht, am Fließband mitzuhalten, schubsen einen nachfolgende Akkordkäufer schon aus den markierten Zonen für Füße und Wagen.

„Nimm mal die rosa Brille ab!“, frotzelt tags drauf meine Liebste beim Kaffee. „Um die heruntergekommene Hertie-Bude ist es nun wirklich nicht schade.“

Kann ich nur nicht loslassen? Ist die Ära der Warenhäuser wirklich vorbei? Meine Frau ist pragmatisch: „Vielleicht können die, befreit vom Ballast, wenigstens Karstadt am Hermannplatz auf Dauer erhalten“, meint sie. „Allerdings: So wie sich die Gegend hier entwickelt, gebe ich der Filiale auch nicht mehr lang.“

Tatsächlich verströmt die gerade 75 gewordene Karstadt-Filiale am Hermannplatz noch einen Hauch von Weltstadt im verarmten Neukölln. „Vielleicht sollten wir dort öfter kaufen“, schlage ich vor. – „Was soll denn das werden?“, spottet meine Frau. „Shoppen für den Frieden?“

Sind denn alle so zynisch geworden? Ach, was soll’s. Es ist Samstagnachmittag – und wir brauchen einen Duschschlauch, eine Kinderdecke, Käse und die guten Kettle-Chips.

In der U-Bahn treffe ich meinen Nachbarn Rudolf. Er will auch zu Karstadt. „Du?“, frage ich ungläubig. „Dich habe ich da ja noch nie gesehen!“ – „Na, Karstadt ist doch jetzt angesagt“, meint Rudolf nur und lächelt. Na, vielleicht überlebt Karstadt am Ende uns noch alle!

Endlich angekommen, dränge ich zu den Lebensmitteln. Rudolf hält mich am Arm: „Biste bekloppt? Die sind hier viel zu teuer!“ – „Was willst du dann hier?“, frage ich überrascht. Rudolf klopft mir an die Stirn: „Mensch, denk doch mal nach: Wenn die jetzt im ganzen Land Filialen auflösen, müssen die doch jede Menge gute Ware verschleudern!“ Ich schaue ratlos. „Komm doch mit in die vierte Etage zum Sonderverkauf! Diese Woche gibt’s CDs zum halben Preis.“

Fazit: Wir sparen uns gegenseitig zu Tode.

Fotohinweis: MATTHIAS URBACH PERFEKTER KAUF Fragen zum Kaufhaus? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER