Kraft-Akt vetreibt StudentInnen

Schätzungen zufolge werden sich 60.000 Studierende in NRW zum Wintersemester exmatrikulieren. Besonders hart trifft es die Großstädte. Aktionsbündnis will weiter gegen Studiengebühren klagen

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Seit das Ministerium für Wissenschaft und Forschung am Dienstag Schätzungen bekannt gab, denen zufolge sich rund 60.000 Studierende in NRW zum Wintersemester exmatrikulieren werden, feiert es sich selbst. Der „gewollte Bereinigungseffekt“ sei eingetreten, ließ Ministeriumssprecher Thomas Breustedt wissen. Und seine Chefin, Ministerin Hannelore Kraft, erklärte gestern in Berlin, bei den Abgängern habe es sich hauptsächlich um „Karteileichen“ gehandelt.

Der Grund für den Studierendenschwund ist offensichtlich: Seit dem vergangenen Sommersemester erhebt das Land NRW Studiengebühren. So muss jeder Studierende, der die Regelstudienzeit deutlich überschreitet, 650 Euro pro Semester berappen. Für Klemens Himpele waren die Gebühren schon immer „eine bildungs- und sozialpolitische Katastrophe“. Jetzt fuchst es den Vorsitzenden des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) zusätzlich, wie das Ministerium mit den Zahlen an die Öffentlichkeit geht. Er bezeichnet die Vorgehensweise als „Populismus“ und „bodenlose Unverschämtheit“. In Düsseldorf, sagt Himpele, feiere man jede Exmatrikulation als Erfolg.

Ein Erfolg, der Himpele zwielichtig erscheint. Denn im Gegensatz zu Ministerin Kraft, sieht er viele seiner Kommilitonen in die Arbeitslosigkeit schlittern. „Es ist schlimm, wenn Leute ihr Studium abbrechen müssen und dann ohne Abschluss auf dem Arbeitsmarkt stehen“, sagt der Gebühren-Gegner. Dass unter den Abbrechern auch jene sind, die mit dem Semesterticket billig Bahn fahren wollen, räumt Himpele ein. Dass dafür andere dran glauben müssen, will er aber nicht hinnehmen.

Im Ministerium gibt man sich indes gütig. „Wenn jemand 40 Semester studieren will, kann er das nach wie vor – er muss nur zahlen“, sagte ein Sprecher zur taz. Und jene, die sich das Studium nicht mehr leisten könnten, machten ohnehin „keinen wesentlichen Prozentsatz“ aus. Zur Bekräftigung dieser These zieht man im Landtag gerne das Zahlenwerk heran. Demnach sind insbesondere die Ballungszentren vom Schwund betroffen. Dortmund beispielsweise mit 15 Prozent Rückgang. Kleinere Städte wie das südwestfälische Siegen, wo sich nur 2,5 Prozent verabschieden, kommen hingegen glimpflicher davon. Für das Ministerium ist das ganz einleuchtend: In Großstädten lohne sich das Semesterticket eben mehr, vor allem was Vergünstigungen im Nahverkehr betreffe. Ullrich Georgi von der Universität Siegen sieht das genauso: „Bei uns sind die Vergünstigungen nicht so attraktiv wie in der Großstadt“, sagte er der taz.

Klemens Himpele will dennoch weiter kämpfen: Etliche Klagen laufen noch und sollen bald verhandelt werden. Er sei optimistisch, sagt Himpele, zumal das ABS in einem Fall die erste Instanz glücklich überwunden hat. Und wenn sich im November das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe damit beschäftigt, ob Studiengebühren nicht auch schon ab dem ersten Semester zulässig sind, will das ABS bundesweite Kampagnen starten. „Wenn das Gericht das Gebührenverbot kippt, geht es in den Ländern ja erst richtig los.“ Ministerin Kraft beteuerte gestern bereits, man werde in NRW an der Studiengebühren-Freiheit festhalten – auch wenn das Gericht das Gesetz kippen sollte.