Lockruf des Geldes

Libyen ist attraktiv für Investoren. Das Land liberalisiert seine Wirtschaft und braucht Kapital

VON REINER WANDLER

Die Libyenreise des Bundeskanzlers hätte zu keinem besseren Zeitpunkt stattfinden können. Wenn Gerhard Schröder am morgigen Freitag in Begleitung einer deutschen Wirtschaftsdelegation in Tripolis eintrifft, ist er dort der erste europäische Regierungschef, nachdem die EU-Außenministertreffen die letzten Sanktionen gegen das nordafrikanische Land aufgehoben hat.

„Wir verfügen traditionell über gute Beziehungen zu Libyen“, zeigt sich der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Deutschen Bundestag, Rainer Wend, von Schröders Reise begeistert. „Nach Italien sind wir Libyens zweitwichtigster Handelspartner“, erklärt der SPD-Politiker. Das macht die Aussöhnung so interessant. Die Hermesbürgschaften für mutige Geschäftsleute aus dem Kanzlertross, die den Besuch zur Absicherung von Exporten nach Libyen zu nutzen wissen, wurde bereits diesen Sommer eingerichtet. Noch sind es keine großen Beträge, die in die Taschen der deutschen Wirtschaft fließen. Doch Libyens Wirtschaft wächst zurzeit jährlich um 5 Prozent, das verspricht einiges.

Staatschef Gaddafi hat die Liberalisierung der Staatswirtschaft angeordnet. 360 Unternehmen wurden zur Privatisierung freigegeben, darunter 54 millionenschwere Großbetriebe, Stahlraffinerien, Zementwerke, Bau- und Nahrungsmittelfirmen. „Wir verstehen, dass Investoren die Kontrolle ausüben wollen, wenn sie große Investitionen im Ausland tätigen“, wirbt der Direktor des „Generalrats für Eigentumstransfer“, Mahmud Ahmed al-Ftise. Der libysche Staat will sich künftig mit einer 25-prozentigen Minderheitsbeteiligung zufrieden geben.

Libyens wirtschaftliche Öffnung kommt nicht von ungefähr. Das nordafrikanische Land litt unter den 18 Jahre dauernden Sanktionen. Vielen der bereits privatisierten Unternehmen geht es schlecht. Ihnen fehlten bisher Kapital und Markt. Und der Beschäftigungsboom, den sich die Staatsführung von der Privatisierung versprach, blieb ebenfalls aus. 25 bis 30 Prozent der Libyer sind nach internationalen Schätzungen arbeitslos. Ausländische Investitionen sollen jetzt Abhilfe schaffen.

Libyen ist bisher einseitig von der Erdölindustrie abhängig. Das Energiegeschäft stellt 94 Prozent der Exporte, 60 Prozent des Staatshaushalts und 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 34 Milliarden Dollar. Libyen verfügt über sehr hochwertiges Erdöl, und das direkt vor den Toren eines der Hauptabnehmer: Europa. 36 Milliarden Barrel (1 Barrel entspricht 159 Litern) wurden bisher entdeckt. Auf 100 Milliarden werden die Vorkommen geschätzt. Das wären 10 Prozent der weltweiten Vorräte. Bisher kann das Land täglich 1,7 Millionen Barrel Erdöl produzieren. Bis 2010 soll die Menge verdoppelt werden. 30 Milliarden Dollar Investitionen sind dafür nötig. In den letzten Monaten unterzeichneten bereits US-amerikanische und britische Konzerne lukrative Abkommen.

Das Geschäft mit dem schwarzen Gold bringt zwar Reichtum, kann aber ein Land auch in den Ruin stürzen. Das musste Libyen, wie andere Erdöl exportierende Länder auch, erfahren, als der Ölpreis Mitte der 80er-Jahre in den Keller ging. Um die Abhängigkeit zu mindern, möchte Libyen in den kommenden Jahren vor allem den Tourismus ausbauen. Auch beim Geschäft mit Sonne, Strand, Wüste und Kulturgütern aus dem Altertum sollen ausländische Investoren helfen. Beste Aussichten für einen Erfolg von Schröders Reise und für die deutsche Industrie.