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: „Big Brother“, ein Dorf im Hartz IV

Die Reality-Soap soll nie mehr zu Ende gehen. Am 1. März 2005 soll es losgehen. Wir freuen uns jetzt schon!

Wenn wahr wird, wovon „Big Brother“-Produzent Rainer Laux träumt, dann wird die nächste Staffel von „Big Brother“ nie zu Ende gehen. Ab 1. März nächsten Jahres können dann die Kandidaten eine eigene Welt beziehen, 4.000 Quadratmeter mit Marktplatz, Kirchturm, mit Geschäften und einem verschwiegenen kleinen Wäldchen zum Pilzesammeln. Oder was man sonst noch alles in verschwiegenen kleinen Wäldchen machen kann. Kinder beispielsweise. Dergleichen sei, so Laux zur Welt am Sonntag, auch ausdrücklich gewünscht. Ebenso wie Familiengründungen und andere Dramen. Ein handverlesenes Grüppchen aus Arbeitslosen soll diese Mischung aus „Truman Show“ und „Disney World“ bevölkern dürfen, soll dort das Abitur nachholen, eine Sprachen lernen oder die Meisterprüfung machen können. Und ein kleiner Meuchelmord von Zeit zu Zeit dürfte der Quote auch nicht schaden.

Helfen wird sicherlich das jetzt schon anhebende Geschrei der Tugendwächter, die das Fernsehen wider besseres Wissen noch immer für eine moralische Anstalt halten. Prompt gab der Medienkritiker und Bedenkenträger Jo Groebel in der Welt am Sonntag medienkritisch zu bedenken: „Wer viele Jahre perfekt versorgt in dieser Kunstwelt lebt, droht den Wiedereinstieg in die Außenwelt nicht mehr zu schaffen, der wird abhängig.“ Vielleicht wird es Zeit, dass auch Jo Groebel ein Scheinwerfer mit der Aufschrift „Sirius“ vor die Füße knallt. Damit er ausnahmsweise mal die viel bestürzendere Künstlichkeit seiner angeblich so realen „Außenwelt“ bedenkt. Denn wo immer Menschen sind, sind sie in artifiziellen Welten geborgen – sei es der Knast, die Kirche, die Familie, der Club Mediterranée oder der ADAC. „Big Brother for ever“ ist nur die modernste Form menschlichen Zusammenlebens, eine schillernde neue Blase in diesem indifferenten Schaum, den wir so gerne und klar Gesellschaft nennen. Selbst der Dümmste unter den einfältigen Kandidaten ist medienkompetenter, als es ihm die besorgten Experten zugestehen wollen: Warum sollten sie ihr Dasein im Rinnstein nicht gegen ein Leben auf der sozialen Sondermülldeponie eintauschen? Und ist das „gesellschaftliche Abseits“, aus dem sich die Kandidaten rekrutieren, nicht auch eine Folge konstruierter Realitäten? Wir werden ja sehen, in welcher der beiden Welten die schöneren Neurosen blühen. ARNO FRANK