Falludscha wartet auf den Großangriff

Zahlreiche Einwohner aus der irakischen Stadt sind aus Angst vor Kämpfen geflohen. Aufständische Milizen patrouillieren in den Straßen, US-Truppen stehen in der Umgebung. Verhandlungen mit der Regierung in Bagdad sind bislang gescheitert

VON KARIM EL-GAWHARY

Die Verhandlungen über eine friedliche Übergabe der von Aufständischen kontrollierten westirakischen Stadt Falludscha sind gestern erneut gescheitert. Die vor der Stadt stationierten US-Truppen arbeiten offen an Angriffsplänen und nehmen die Stadt sporadisch aus der Luft oder mit ihren am Stadtrand stationierten Panzern unter Feuer. Am Sonntag kam es neun Stunden lang zu den bisher schwersten Gefechten, seit die US-Marines die Stadt im April verlassen und irakische Aufständische sie übernommen haben.

Die Verhandlungen zwischen irakischer Regierung, Stadtbewohnern und Vertretern der Aufständischen über eine friedliche Übergabe waren am Donnerstag erstmals abgebrochen worden. Die Übergangsregierung in Bagdad hatte gefordert, den Jordanier Abu Mussab al-Sarkawi und andere ausländische Kämpfer auszuliefern, die für eine Vielzahl von Anschlägen verantwortlich gemacht werden.

„Die Amerikaner versuchen seit Monaten mit all ihren Mitteln, al-Sarkawi zu finden und zu töten und wissen nicht, wo er ist. Wie können sie jetzt von uns erwarten, dass wir das wissen und ihn ausliefern?“, lautete die Antwort der Verhandlungsdelegation aus Falludscha. Der Unterhändler Scheich Khaled al-Jumaili war nach dem Scheitern der Verhandlungen am Freitag gar für drei Tage von den Amerikanern inhaftiert worden. „Die Menschen in Falludscha haben die Verhandlungen nun wegen der amerikanischen Vorgehensweise und meiner Verhaftung endgültig eingestellt, obwohl es Fortschritte gab “, erklärte al-Jumaili bei seiner gestrigen Freilassung.

Unterdessen haben zahlreiche Einwohner die Stadt in Erwartung einer großen US-Offensive verlassen. „Die Stadt ist fast leer, abgesehen von den Aufständischen, die nach dem Iftar, dem Brechen des Ramadan-Fastens, abends auf den Straßen beten“, berichtet ein Augenzeuge. Ansonsten mag keine so richtige Ramadan-Atmosphäre aufkommen. Eines der beliebtesten Kebab-Restaurants im Zentrum der Stadt, in dem viele traditionsgemäß in andern Jahren ihr Fasten gebrochen haben, wurde von den US-Truppen letzte Woche bombardiert. Sie vermuteten dort Waffenlager.

In der Stadt kontrolliert ein Sammelsurium von Milizen die Straßen. Einer der bizarren Absurditäten: Auch irakische Polizisten sind zu sehen, die laut einem Abkommen zwischen Aufständischen und der Regierung für Sicherheit sorgen dürfen, solange sie ihre Befehle nicht von den Amerikanern erhalten.

Die Einwohner, die geblieben sind, haben letzte Woche begonnen, Nahrungsmittel zu horten. Die Krankenhäuser sollen inzwischen kaum mehr Nachschub an Medikamenten bekommen, trotzdem bringen die Einwohner die Verletzten noch dorthin, damit diese, nach Aussagen eines lokalen Reporters des arabischen Dienstes der BBC, „wenigstens noch die Gewissheit haben, dass ein Arzt in der Nähe ist“.

Über die Präsenz ausländischer Kämpfer gibt es widersprüchliche Aussagen. Laut dem BBC-Reporter sollen 99 Prozent der Kämpfer in der Stadt aus Falludscha stammen oder Iraker sein. Andere Berichte sprechen davon, dass einige ausländische Kämpfer in Erwartung der großen Schlacht mit den US-Truppen erst in den letzten Tagen in die Stadt gekommen seien.

In den letzten Wochen gab es Berichte, dass sich das Verhältnis zwischen ausländischen Kämpfern und Einheimischen zunehmend verschlechtert habe. Mindestens fünf „Araber“ sollen von den Einheimischen ermordet worden sein. Einige der aufständischen Iraker haben offenbar auch Sorge, mit den angereisten militanten Islamisten in einen Topf geworfen zu werden. „Man sollte nichts vermischen. Es gibt den echten einheimischen Widerstand und es gibt andere Gruppen, die ihre eigenen Rechnungen begleichen und zum Teil auch Terror gegen Irakis ausüben“, sagt ein lokaler Milizkommandeur namens Abu Barra.

In den Augen der meisten Einwohner sind die angereisten Kämpfer unbeliebt, aber den ihrer Meinung nach „rachsüchtigen Amerikanern“ vor der Stadt trauen sie auch nicht über den Weg. Das erklärt womöglich die neueste Modeerscheinung: einen Autoaufkleber, der göttlichen Schutz erfleht.