Neoliberale Attacke

Frankreichs Wirtschaftsminister drängt auf Anschluss an Europas Mainstream und fordert flexibleres Arbeitsrecht

Unternehmen sollen laut Haushaltsentwurf 1,1 Milliarden Euro Steuern sparen

PARIS taz ■ Der Bericht kam wie gerufen: Zum Auftakt der alljährlichen Haushaltsdebatte im französischen Parlament überreichte Ex-IWF-Chef Michel Camdessus gestern dem Pariser Finanzminister ein 150-Seiten-Papier über „Wachstumshemmnisse“ in Frankreich. Darin attackiert Camdessus die 35-Stunden-Woche, die Ladenschlusszeiten und das Arbeitsrecht. Er schlägt der rechten Regierung vor, die Arbeitslosen strenger zu kontrollieren, die Arbeitsverträge „flexibler“ – sprich: kündigungsfreundlicher – zu gestalten und die Zahl der BeamtInnen drastisch zu reduzieren. So würde, meinte Camdessus, die Beschäftigung erhöht. „Das wird meine Bettlektüre“, freute sich Finanzminister Nicolas Sarkozy: „Genau so muss man auf die Komplexität der Welt antworten.“

Wenige Stunden später stellte Sarkozy sein erstes und voraussichtlich letztes Jahresbudget vor. Allein für die siebenstündige Einstiegsdebatte meldeten sich 44 RednerInnen an. Insgesamt sind für die Haushaltsdebatte mehr als zwei Wochen vorgesehen. Danach will Sarkozy seinen Ministerposten verlassen und Chef der rechten Partei UMP werden. Von dort aus will er seine Kandidatur als französischer Staatspräsident vorbereiten.

Die diesjährige Herbstdebatte über das Haushaltsgesetz, das die Sozial- und Wirtschaftspolitik für 2005 festlegt, kündigte sich besonders tumultuarisch an. Minister Sarkozy geht von einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent im nächsten Jahr aus. Angesichts rasant steigender Erdölpreise halten viele PolitikerInnen diese Hypothese für völlig unrealistisch. Zusätzlich nennen SprecherInnen der linken Oppositionsparteien PS und KPF Sarkozys Entwurf „zutiefst ungerecht“. Unter anderem will der Minister die Steuersätze für Spitzeneinkommen senken – um den Standort Frankreich interessanter zu machen und „Steuerflüchtige“ zurückzuholen. Eine Maßnahme, die nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei der rechtsliberalen Mitregierungspartei UDF umstritten ist.

Andere unpopuläre Maßnahmen wie die Abschwächung des Kündigungsschutzes haben schon im Vorfeld so einhellige Proteste aller Gewerkschaften ausgelöst, dass die Regierung bereits die teilweise Rücknahme in Aussicht gestellt hat.

Sarkozy selbst nennt seinen Budgetentwurf „pragmatisch“. Beim Staat und den Ministerien will er die Ausgaben stabil halten und das Defizit reduzieren. Den Unternehmen will er das Geschäft erleichtern – und unter anderem ihre Lohnnebenkosten senken. Er stellt den Unternehmen Steuererleichterungen von 1,1 Milliarden Euro für das nächste Jahr in Aussicht. Die Einzelhaushalte will er zu verstärktem Konsum animieren. Zu diesem Zweck will er auch die Heimarbeit erleichtern. An die Adresse der Einzelhaushalte geht auch sein Vorschlag, kleinere und mittlere Erbschaften von der Steuer zu befreien. Über einzelne soziale Maßgaben seines Gesetzes, so sagt er, sei er bereit zu diskutieren.

Sarkozy hat den ganzen Sommer über gesagt: „Ich muss mein Budget vorbereiten.“ Mit der gestern begonnenen Debatte will er sich einen guten Abgang in die Präsidenz seiner Partei sichern, wo er konkurrenzlos zur Wahl kandidiert. Schützenhilfe erhielt Sarkozy, der sich in der vergangenen Woche bei einem Berlin-Besuch entgegen ursprünglichen Plänen nicht mit dem Bundesfinanzminister getroffen hat, gestern auch aus München. CSU-Mann Edmund Stoiber veröffentlichte eine Eloge auf ihn in der Zeitung Die Welt. Darin nennt er Sarkozy bereits den künftigen UMP-Chef und beschreibt ihn als „idealen Partner“ für seine eigene Partei und Politik. DOROTHEA HAHN