„Wir hatten GM doch am Arsch“

Ein Drittel der Opel-Mitarbeiter wollte weiterstreiken. Doch die Mehrheit setzt auf friedliche Verhandlungen – wie Betriebsrat und Gewerkschaft

AUS BOCHUM KLAUS JANSEN

Die schnauzbärtigen Gesichter sind schon vor der entscheidenden Abstimmung von dunklen Augenringen gezeichnet. Ältere Männer in Lederjacken, jüngere in Turnschuhen und abgewetzten Jeans stauen sich vor dem Ruhrkongresszentrum in der Bochumer Innenstadt. Die immerhin 4.500 Plätze fassende Halle ist zu klein, deshalb wird auch in einer benachbarten Sporthalle mit 1.500 Plätzen über die Fortsetzung oder den Abbruch des wilden Streiks der Bochumer Opelaner entschieden. Schon am Mittag sickert durch: Der Streik – der offiziell immer eine Informationsveranstaltung blieb – wird beendet. Sofort. Schon die Mittagsschicht um 15 Uhr soll wieder ins Werk einrücken.

Doch an der Halle bleibt die Stimmung gereizt. Für Unmut sorgen die Stimmzettel. Denn der Betriebsrat legt diesen Satz zur Abstimmung vor: „Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiterführen und soll die Arbeit wiederaufgenommen werden?“ Das sind eigentlich zwei unterschiedliche, miteinander verschränkte Fragen. Es gibt aber nur ein „Ja“ oder „Nein“. Nach der Auszählung sind von 6.404 gültigen Stimmen 4.647 Ja und 1.700 Nein bei 57 Enthaltungen.

„Das war nicht demokratisch“, erregt sich Andreas Felder, Vertrauenskörperleiter von Werk 2 und 3: „Die Kollegen sind enttäuscht und fühlen sich verarscht“. Von der Mehrheit, die für den Abbruch des wilden Streik stimmte, will niemand mit Namen zitiert werden. „Alternativlos“ sei diese Entscheidung, meinen die meisten. Andere Arbeiter sind zornig: „Das ist der Bruch zwischen Betriebsrat und Belegschaft“, sagt Josef Kosching-Günther, der seit 13 Jahren in Werk 1 arbeitet, „damit haben wir eine große Sache aus der Hand gegeben“. Der Nachtschichtler sieht müde und unrasiert aus.

Auf der offiziellen Pressekonferenz rechtfertigt Betriebsrat Dietmar Hahn die Formulierung auf dem Stimmzettel: „Verhandeln und Wiederaufnahme der Arbeit sind untrennbar miteinander verbunden. Das eine funktioniert nicht ohne das andere.“ Tatsächlich schreibt das Betriebsverfassungsgesetz Friedenspflicht bei Verhandlungen vor. Der Chef der Bochumer IG Metall, Ludger Hinse, spricht von „Verantwortung“, die gezeigt wurde.

Noch am Vortag hatte Hinse vor 20.000 Zuhörern die Sparpläne des Opel-Mutterkonzerns General Motors gegeißelt. Im Kongresszentrum aber spricht er sich für die Wiederaufnahme der Arbeit aus. Wie auch Betriebsrat Hahn. Weitere Redner gibt es nicht. Die radikalen Vertauensleute, die sich im Streik profiliert haben, kommen nicht zu Wort. Gordon Frieß ärgert das: „Es ist wichtig, das alle Belegschaftsvertreter angehört werden“, meint der Mann, der vor der Halle die Mitarbeiterzeitschrift Der Blitz verteilt. Deren Autoren machen deutlich, was sie von den bisherigen Verhandlungsergebnissen halten: „Das bedeutet nichts anderes als den Tod auf Raten. Es ist eine Frechheit, uns so etwas als Erfolg vorzulegen.“ Die Belegschaft ist gespalten: In einer Probeabstimmung hatten sich die Schichtmitarbeiter der Werke 2 und 3 noch für die Fortsetzung des Arbeitskampfs ausgesprochen. Die Mehrzahl der Betriebsräte und Gewerkschafter wünscht sich hingegen, dass die Bänder im Bochumer Opelwerk wieder laufen – damit Raum für Verhandlungen mit der Konzernleitung bleibt.

Bisher haben die Opelaner nur Absichtserklärungen erreicht: Man wolle „die Standorte Rüsselsheim und Bochum so weit wettbewerbsfähig machen, dass sie über 2010 erhalten werden können“, hatten Konzernleitung und Arbeitnehmervertreter am Dienstag in einem gemeinsamen Papier vereinbart. Für Hahn bereits ein großer Erfolg: „Die Blockadehaltung des Vorstands konnte überwunden werden“, hatte er der demonstrierenden Belegschaft am Dienstag zugerufen.

Allerdings hat General Motors den entscheidenden Forderungen der Belegschaft bislang nicht nachgegeben, der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und auf Werksschließungen steht noch aus. Das Hauptargument der Streikbefürworter war daher, noch dürfe man kein Druckmittel aus der Hand geben. Im britischen Werk Ellesmere Port stehen die Bänder zumindest am Morgen noch ebenso still wie in Antwerpen und Rüsselsheim, auch Kaiserslautern steht kurz vor dem Produktionsstopp, weil Zwischenprodukte aus Bochum knapp werden. „Wir können nicht aufhören. Gerade jetzt haben wir General Motors doch am Arsch“, sagt ein Arbeiter – vor der Abstimmung.

Doch nicht nur General Motors, auch die Belegschaft leidet unter den Folgen des Streiks. Die langen Nächte vor den Werkstoren, die SPD-Politiker, Gewerkschafter und Kirchenvertreter, die die Streikenden zur Wiederaufnahme der Arbeit drängen, haben den psychischen Druck verstärkt. Und auch finanziell leiden die Arbeiter: Sie sind, da es sich bei den Arbeitsniederlegungen nicht um einen legalen Streik handelt, seit sieben Tagen ohne Lohn – die Gewerkschaftskasse zahlt nicht.