„Naiv bin ich nicht“

In „5 x 2“ zeigt François Ozon, was von der Liebe übrig bleibt. Ein Gespräch mit dem französischen Regisseur über die Stärken der Frauen, die Schwächen der Männer und den Diskurs der Liebe

INTERVIEW KIRA TASZMAN

taz: Herr Ozon, Ihr jüngster Film „5 x 2“ stellt fünf Szenen in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau dar. Ist er Ihre Neuinterpretation von Claude Lelouchs Melodram „Un homme et une femme “ – nur ohne die Geigen?

François Ozon: Aber es gibt Geigen im Film, besonders am Ende. Oder?

Ich habe den Film eher als nüchtern empfunden.

Aber ich finde „5 x 2“ romantisch! Einen Film beendet man meist mit dem Wichtigsten. Durch die Konstruktion, die mit dem Anfang aufhört, steuert der Film auf den Moment des Glücks, des Kennenlernens zu. Manchmal ist er melancholisch, aber nicht düster. Wichtig ist, dass die Dinge immer wieder beginnen und dass man jedes Mal von neuem an die Liebe glaubt.

Den Sonnenuntergang am Ende kann man auch ironisch oder zynisch interpretieren.

Ja, natürlich. Das ist wie bei den italienischen Liedern im Film. Man hört das Lied „Una lacrima sul viso“, das man sowohl als kitschig empfinden kann als auch als ironisch oder sentimental, nachdem man gerade gesehen hat, wie eine Frau vergewaltigt worden ist und ein Paar sich gefetzt hat.

Warum verwenden Sie ausschließlich melancholische italienische Lieder?

Sie sind nicht melancholisch. Sie sind eher lebhaft und mitreißend. Denn für die Franzosen repräsentiert Italien die Romantik. Italien, das ist das Gefühl. Außerdem lernen sich die beiden Figuren in Italien kennen.

Sie glauben offenbar nicht an die naive Vorstellung der ewigen Liebe.

Also, naiv bin ich ganz bestimmt nicht. Ich finde, dass man Dinge manchmal mehr schätzt, wenn sie vorbei sind. Ich glaube an Liebesbeziehungen, aber sie erfordern Arbeit, Kompromisse und einen Willen, den das Paar in meinem Film nicht hat. Dennoch liefert das Paar der Eltern ja den besten Beweis dafür, dass Beziehungen halten können.

Dem Heteropaar stellen Sie das schwule Paar gegenüber, das behauptet, es mit der Treue nicht so eng zu sehen.

Da wollte ich ein bisschen das Klischee unterlaufen. Man merkt ja sehr wohl, dass der schwule Bruder nicht unbedingt das sagt, was er fühlt. Am Liebesdiskurs interessiert mich das, was Roland Barthes gezeigt hat: der Unterschied zwischen dem Gesagten und dem Gelebten. Oft beruhigt oder belügt man sich mit dem, was man sagt. Der Bruder behauptet, nichts gegen einen Dritten zu haben, aber man spürt, dass er seinen jungen Liebhaber für sich behalten will. Dieses Paradox hat mich interessiert. Fassbinder sagte: Homosexuelle Paare haben dieselben kleinbürgerlichen Sehnsüchte wie heterosexuelle.

Der Mann versagt immer in entscheidenden Momenten. Sind Männer mit ihrer neuen Rolle in der Gesellschaft überfordert?

Ich wollte eine verletzliche und schwache männliche Figur zeigen, ihn aber nicht verurteilen. Er ist verloren und kann seine Gefühle nicht äußern. Er kann sich nur durch seine physische Kraft ausdrücken. Frauen stehen viel mehr zu ihren Gefühlen und sind in der Lage, sie nach außen hin zu zeigen. Sie waren so lange Opfer, dass sie heute, wo sie fast gleichberechtigt sind, alles zu gewinnen haben. Die Männer dagegen waren in einer Position der Stärke in einer patriarchalischen Gesellschaft, in der ihnen nur durch ihr Geschlecht die führende Rolle zustand. Auf einmal müssen sie damit umgehen lernen, ein Berufs-, ein Familienleben und ein Liebesleben unter einen Hut zu bekommen.

In letzter Zeit sind einige Filme – „Irréversible“ oder „Memento“ etwa – rückwärts erzählt worden. Warum missachten Sie in „5 x 2“ die traditionellen Gesetze der Chronologie?

Wegen der Idee, dass ich von der Trennung erzählen wollte. Deshalb habe ich die Trennungsszene zuerst geschrieben. Wenn man sich trennt, hat man nur einen Wunsch: die Person nicht mehr zu sehen und zu etwas anderem überzugehen. Dann denkt man an die Gründe, die zur Trennung geführt haben, nicht an die Momente, in denen man den anderen idealisiert hat. Man braucht diesen negativen Aspekt, um weitermachen zu können. Später, in zehn Jahren, wird man sich an die positiven Dinge erinnern. Deshalb schien mir diese Struktur logisch.

Stellen Sie mehr Ansprüche an Ihre Schauspielerinnen als an Ihre Schauspieler?

Es macht mir mehr Spaß, am Bild einer Schauspielerin zu arbeiten. 30 Prozent ihres Spiels besteht aus ihrer Ausstrahlung – bei einem Schauspieler übrigens auch. Aber im französischen Kino wird weniger an der Erotisierung des männlichen Körpers gearbeitet, im Gegensatz zu den USA. Mit Schauspielerinnen arbeite ich einfach lieber an ihrem Look und versuche immer, die ideale Schauspielerin für die Rolle zu finden. Valeria erschien mir schon sehr gut, ich fand aber, dass sie in den meisten Filmen ihre Weiblichkeit nicht betont. Sie ist sehr hübsch, steht aber oft leicht krumm da. Also muss man sie nur bitten, sich gerade zu halten, den Kopf zu heben.

Die Vergewaltigungsszene zu spielen muss für die Schauspieler sehr hart gewesen sein. Was machen Sie, um das Unbehagen zu nehmen?

Ich baue Vertrauen auf. Außerdem haben sie das Drehbuch gelesen und wissen, was sie erwartet. Ich gehe die Dinge frontal an und sage: Ich werde deine Brüste filmen, hier wird man dich ganz nackt sehen. Das ist sehr konkret. Ich stehe hinter der Kamera und gebe ganz genaue Anweisungen, wie bei einer klassischen Szene. Denn ich denke, dass Schauspieler gerade in solchen Momenten auf den Regisseur angewiesen sind. Weil sie im buchstäblichen und im übertragenen Sinne nackt sind und sich ausliefern, darf man sie nicht missbrauchen, sondern muss für sie da sein.

Ein französischer Kritiker hat von Ihnen behauptet, Sie interessierten sich mehr für das Kino als für das Leben. Das sieht man auch an den Anspielungen auf andere Filme, die von Bergman etwa.

Es gibt zwei Filme, die mir als Referenz dienten. „Nous ne vieillirons pas ensemble“ („Wir werden nicht zusammen alt werden“) von Maurice Pialat und Bergmans „Szenen einer Ehe“. Das sind die beiden großen Filme über Paarbeziehungen. Die erste Szene von „5 x 2“ erinnert an Bergman, weil sie wie ein Kammerspiel gedreht ist und eine übersteigerte Gewalt hat. Danach findet der Film eine eigene Logik. Er öffnet sich, die Einstellungen werden weiter. Beim Drehen selbst denkt man allerdings nicht an filmische Vorbilder. Ich habe spaßeshalber gesagt, dass „5 x 2“ wie ein Film von Claude Lelouch aufhören wird. Ich hoffe, er ist besser als ein Lelouch!