Kellermeister Beck

Sie mag es unberechenbar. Judith Beck macht persönlichen Wein – mit viel Erfolg

VON TILL EHRLICH

Gols liegt an einer Durchgangsstraße, zwischen Wien und der ungarischen Grenze. Der Neusiedlersee ist nur wenige Kilometer entfernt. Die Straße ist staubig, daran ducken sich unauffällige Häuserfassaden. Das Zentrum der österreichischen Kleinstadt ist ein Kreisverkehr. Er teilt die Straße in Obere und Untere Hauptstraße. Die Untere Hauptstraße Nummer 108 hat einen blaugrauen Anstrich. „Weingut Beck“ steht auf dem Schild. Wichtiger ist die Hausnummer. Denn Familiennamen verwirren in Gols. Der Ort hat 3.500 Einwohner, im Telefonbuch sind 34 Becks eingetragen. Davon fünf Weingüter Beck.

Judith Beck, 26, steht im Innenhof des blaugrauen Hauses Nummer 108 und sagt ein knappes „Hallo“. Es ist Vormittag und regnet, sie trägt Jeans und feste Schuhe. Sie sieht nach Arbeit aus. Ihr Blick wirkt entschlossen, die Lippen und Zähne bläulich. Sie hat heute schon Rotwein probiert, sagt sie und geht in den Verkostungsraum. Der ist schlicht und funktional. Beck stellt einen kleinen Tonkrug zum Ausspucken auf den Tisch und öffnet die erste Flasche.

Beck beginnt mit Weißwein der Sorte Weißburgunder, Jahrgang 2003. Saftigkeit kitzelt die Zunge, geschmackliche Intensität und Transparenz sorgen für einen überraschenden Auftakt an diesem verregneten Junitag. Die Weine aus 2003 sind der dritte Jahrgang, den sie als Weinmacherin im elterlichen Weingut verantwortet.

Langsam wird sie gesprächiger. „Wir wollen geradlinige Weine“, sagt sie. Judith Beck ist für ihre Ausbildung aus Gols weggegangen, hat im niederösterreichischen Klosterneuburg Weinbau studiert. Dann ging sie noch weiter weg auf Lehrreise, hat auf Weingütern in Chile, Frankreich und Italien gearbeitet. 2000 kehrte sie zurück nach Österreich, ein Jahr später, mit 22, verantwortete sie ihren ersten Jahrgang.

„2001 war ein schwieriges Jahr“, sagt sie, „mit viel Regen im Herbst.“ Sie öffnet einen Rotwein aus jenem Jahr, „Pannobile“ heißt er. Eine Cuvée aus Trauben von Cabernet Sauvignon, Blaufränkisch und Zweigelt. Es ist ein intensiver und zugleich leichtfüßig wirkender Stoff, voller Gelassenheit und dunkler Spannung. Ein tiefgründiger Wein, dessen Unaufgeregtheit berührt. In vielen Familienweingütern werden heftige Kämpfe ausgetragen, wenn die Söhne die Betriebe der Väter übernehmen wollen. Bei den Becks lief alles harmonisch ab. „Vielleicht ist es zwischen Vater und Tochter anders, vielleicht wäre sogar etwas mehr Spannung gut“, meint Judith Beck.

Vater Matthias war erleichtert, als die Tochter in den elterlichen Betrieb kam. Er kann sich seitdem ganz auf die Arbeit in den Weingärten konzentrieren, die von ihm weniger geliebte Kellerarbeit macht jetzt die Tochter. Er gibt ihr Rückhalt, macht sie stark. Während der Ernte 2001 waren ständig schwierige Entscheidungen zu treffen. Etwa, wann die Trauben gelesen werden mussten. Sollten sie sicher gehen und unreif ernten? Oder warten, bis die Beeren ganz ausgereift waren und riskieren, dass sie durch Regen von Fäulnis befallen worden wären. Letzteres hätte katastrophale Auswirkung auf den Wein gehabt. Gute Weine können nur aus voll ausgereiften Trauben entstehen. Weinernte ist ein Pokerspiel. „Ich mag das Risiko beim Weinmachen“, sagt Beck. Wenn sie unsicher ist, diskutiert sie mit dem Vater. Er trägt ihre Entscheidung mit. Das gibt ihr Sicherheit. „Ich würde es sonst nicht machen.“ Sie sagt: „Mein Vater ist ein Arbeitstier“ und schildert den 51-Jährigen als offen und introvertiert zugleich. Er sei von früh bis spät unterwegs, am liebsten allein. „So wie ich.“

Aber es gibt auch Generationsunterschiede. Als Matthias Beck 1975 das Weingut übernimmt, ist er zunächst noch fasziniert von der damals aufkommenden moderneren Kellertechnik, er ist angetan von der Möglichkeit, die Gärung durch Enzyme und Reinzuchthefen steuern zu können. Das ermöglicht es, die Weinwerdung gänzlich zu kontrollieren. Das ist damals neu für viele Winzer und sehr aufregend. Aber für die Tochter relativiert sich die Technikfaszination eher: „Ich finde es gut, wenn ich nicht alles im Griff habe.“

Sie mag Risiko, liebt es, Dinge auszuprobieren. So entstehen unverwechselbare und authentische Weine, geprägt von ihrer Persönlichkeit. Konkurrenz ist daher für sie Blödsinn. „Niemand kann Wein auf die mir eigene Art machen.“ Sie hat keine Probleme als Weinmacherin in einer Männerwelt, auch wenn noch viele denken, dass man als Frau eher das Marketing machen sollte. Beck ist selbstbewusst: „Viele finden es gut, was ich mach und dass ich selbstständig bin.“ Und nach einer kurzen Pause: „Manche haben auch Angst davor.“

Gols ist anders als die meisten Orte am Neusiedlersee. Die größte protestantische Gemeinde im katholischen Österreich, eine Enklave. Beck meint, dass es noch heute hier großen Zusammenhalt gibt. „Eine Golserin“, erzählt sie, „durfte früher nur einen Golser heiraten.“ Deswegen gibt es 34 Becks und mehr als 100 Nittnaus.

Die Durchgangsstraße von Gols war jahrhundertelang unruhig. „Hier sind irgendwie alle durchgekommen“, sagt die Winzerin. Soldaten, Deserteure, Flüchtlinge. Die Häuser seien nach außen hin so schmal und klein gebaut, um weniger Angriffsfläche zu bieten. Das nördliche Burgenland hat lange Zeit, bis 1921, zu Ungarn gehört. Judith Beck fühlt sich von dieser Kultur angezogen. Sie will Ungarisch lernen.

Der Kreisverkehr von Gols ist vor drei Jahren neu gestaltet worden. Er umschließt mittig einen grünen Hügel. Darauf sind Weinstöcke gepflanzt, zwischen ihnen ragen Pfähle mit Wappen empor. Jedes steht für ein österreichisches Bundesland. „Das soll“, sagt Claus Preisinger, „die Verbundenheit der Golser mit allen Österreichern zeigen“. Und fügt hinzu: „Unser Bürgermeister steht auf so was.“ Preisinger ist 24 Jahre alt, Winzer und der engste Kollege von Judith Beck. Sie kennen sich lange, haben vor vier Jahren mit dem Weinmachen begonnen. Sie sind Individualisten, aber sie tauschen ihre Erfahrungen aus. Die beiden Weingüter trennt der Kreisverkehr. Preisingers Probierstube ist ebenfalls karg: grober Dielenboden, ein Tisch, kein Firlefanz.

Claus Preisinger trägt eine schwarze Lederjacke, und wenn er nach einer Flasche greift, kommt ein Armband mit grünen Glasperlen zum Vorschein. Preisingers Weine sind im Ausdruck äußerst selbstbewusst und eigen, sie besitzen klare Konturen. Preisinger hat Erfolg, sein Rotwein „Paradigma“ wurde unlängst zum besten Rotwein Österreichs gekürt. Trotzdem sagt er: „Wenn ich nimmer weiter weiß mit dem Wein, ruf ich die Judith an.“ Er schätzt ihre Offenheit, ihr profundes Weinwissen. Und ihre Weine. „Das sind keine Blender, die haben Finesse. Sie brauchen Zeit und Geduld.“ Die Beck-Weine seinen nicht mehr so hart, seit Judith sie macht. Sie seien femininer. Was ist ein femininer Wein? „Er ist kein Tannin-Hammer. Sondern feingliedrig. Gezeichnet von seidigen Tanninen“, sagt Preisinger.

Momentan ist Erntezeit und täglich sind Entscheidungen zu treffen. Man muss klar im Kopf sein. Gestern haben sie im Weingut Beck den Welschriesling geerntet. Judith Beck hat die weißen Trauben gepresst. Am nächsten Morgen hat sie den Welschriesling entschleimt, also Trubstoffe und Schmutz vom Most entfernt. Am Mittag hat sie nach dem Stahltank mit dem Zweigelt geschaut. Der Rote hat gerade seine Gärung beendet. Ein schöner Augenblick. Claus Preisinger hat die Kellermeisterin besucht und gekostet. Die Ernte des Jahrgangs 2004 ist noch nicht vorüber, verspricht aber jetzt schon viel.

TILL EHRLICH, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Er ist Autor von „Die besten Supermarktweine“ (Hallwag Kompasse, Gräfe & Unzer, 2004)