Kirschrot statt graumeliert

Baden-Baden im Südwesten war lange Jahre die gute Stube für wohlhabende Senioren. Doch das reicht nicht mehr. Im Rathaus bereitet man jetzt den Imagewechsel vor

BADEN-BADEN taz ■ Woran erkennt man eine alternde Stadt? Beim Schlendern über die Lange Straße in Baden-Baden kommt man gleich an zwei Geschäften vorbei, die orthopädisches Schuhwerk anbieten. Aber auch an einem H & M. An den Tischen bescheint die Altweibersommersonne meist silbergraues Haar. In der Bäckerei Peters am Leopoldplatz lassen sich Teenager und junge Mütter mit ihren Kindern das Essen schmecken. Keine Frage, das Casino, die alten Bäder, der historische Stadtkern: Baden-Baden ist eine altehrwürdige Stadt. Aber alt? Ebenso ließen sich die Jüngeren im Straßenbild in den Mittelpunkt stellen.

Dabei spricht die Statistik eine deutliche Sprache. Baden-Baden ist die Stadt in Deutschland, in der prozentual die meisten über 65-Jährigen leben: 24 Prozent. Hinzu kommen noch Kur- und Kongressgäste, in der Regel also auch eher Ältere.

Viele graumelierte Kunden schauen bei Jürgen Müller-Fox vorbei. Auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton hat hier schon ein Tuch und eine Kosmetiktasche aus Kalbsleder gekauft.

Lederwaren sind die Spezialität des Vorsitzenden der Aktionsgemeinschaft der hiesigen Einzelhändler. Taschen, Geldbörsen, Gürtel gibt es bei ihm, viele von Müller-Fox selbst entworfen. Nicht gerade billig, aber wer es sich leisten kann, im Alter nach Baden-Baden zu ziehen, muss seine Taschen auch nicht auf dem Wühltisch kaufen.

Müller-Fox schüttelt jedoch den Kopf. „Die hohe Kaufkraft der Senioren existiert vor allem auf dem Papier.“ Viele kämen gar nicht mehr aus dem Haus, andere kauften weniger, weil sie ja schon so vieles haben. Müller-Fox lebt vor allem von den Besuchern der zahlreichen Kongresse in der Stadt – oder deren Partnerinnen. Die kaufen gerne ein Andenken oder Mitbringsel aus Leder.

Dennoch hat er eine wichtige Erfahrung mit älteren Kunden gemacht. „Wenn ich eine rote Tasche ins Fenster stelle“, erzählt er, „kommen viele ins Geschäft und bewundern sie ausführlich. Und dann fragen die meisten: Haben Sie die auch in Schwarz?“ Das Schaufenster von vornherein nach den Kaufgewohnheiten zu dekorieren, käme Müller-Fox aber nicht in den Sinn. Niemand geht gern in ein Geschäft, dessen Farben schon von außen an ein gedecktes Leben im Alter erinnern. Aber Fakt ist dennoch: Über den Ladentisch gehen viel mehr schwarze Taschen als rote.

Auch der erste Bürgermeister dekoriert das Schaufenster seiner Stadt jugendlich. Zwar stehe außer Frage, dass Baden-Baden attraktiv für ältere Menschen sei, sagt Klaus Michael Rückert (CDU). „Wir freuen uns, wenn Sie sich hier wohl fühlen.“ Das milde Klima, die vielen Reha- und Wellnesseinrichtungen – das alles spricht für einen goldenen Herbst am Flüsslein Oos. Jahrzehntelang habe die Stadt sich vor allem als gute Stube verstanden.

„Aber das reicht jetzt nicht mehr“, sagt der Bürgermeister und legt einen Stadtplan auf den Tisch. Seine Hand kreist um ein 40 Hektar großes Gebiet vier Kilometer westlich der Innenstadt, die Cité. Bis 1999 haben hier 8.000 französische Soldaten und ihre Angehörigen gelebt. Nun stehen die Wohnhäuser und Freizeiteinrichtungen leer. Das Viertel soll überwiegend neu bebaut werden und vor allem durch junge Familien zu neuem Leben erwachen.

Projekte wie dieses sollen zukünftig den Auftritt Baden-Badens nach außen prägen. „Unser Ziel ist es, das junge, dynamische Baden-Baden in den Vordergrund zu rücken“, sagt Rückert. Und Ansätze gibt es tatsächlich. Aus dem Funkhaus Baden-Baden schickt der Südwestrundfunk seit vielen Jahren seine „junge Welle“ SWR 3 durchs Ländle und darüber hinaus. Pop-Konzerte locken regelmäßig junges Publikum in die Stadt. Und der Medienbereich könnte nach den Vorstellungen des Bürgermeisters weiter ausgebaut werden, bereits jetzt arbeitet in der Cité die Europäische Medien- und Event-Akademie.

Was klingt wie Kosmetik für die alte Dame Baden-Baden, gründet auf der Sorge um die Zukunft der Stadt. Denn der klassische Kurbetrieb, von dem Baden-Baden lange sehr gut leben konnte, ist in Zeiten klammer Krankenkassen ein Auslaufmodell. Wie lange Gesundheit und Tourismus noch die Haupteinnahmequelle der Stadt sein können, ist unsicher.

Deshalb versucht Baden-Baden, wie nahezu jede andere deutsche Stadt auch, auswärtige Unternehmen davon zu überzeugen, sich hier niederzulassen. Zukunftsbranchen sollen es sein: Medien, Bildung, Freizeit.

Und solche Trendsetter lockt man nicht mit der sanften Kraft des Alters, sondern mit der vermeintlichen Dynamik der Jugend. Und mit vielen roten Handtaschen. STEPHAN KOSCH

Hinweis: BADEN-BADEN Einwohner: 53.938Davon über 65: 13.034Arbeitslose: 1.774Zugewanderte: 614(alle Zahlen: 2003)