Des Teufels Rudeljungs

Zur Macht gehört der selbst gewählte Abgang. Sonst wird man Opfer seiner eigenen aufstiegsbesessenen Brut – Helmut Kohl, Bernhard Vogel und Ernst Teufel wissen das sehr genau

VON MARTIN REICHERT

Es ist ja wahr: Jeder bekommt die Kinder, die er und sie verdient. Man bringt ihnen bei, sich durchzusetzen, ihre Ellbogen einzusetzen. Schließlich soll ja mal etwas aus ihnen werden. Nachdem man sie dann jahrelang großgezogen hat, sie unterstützt hat, wo man nur konnte, erfolgt die logische Konsequenz der freudianischen Zwangsspirale: der Vatermord. Bestenfalls wird man nur ins Altenheim abgeschoben.

Erwin Teufel hätte es wissen müssen, und eigentlich hat er es auch gewusst. Mobbing? „Ich kann nicht bestreiten, dass es so etwas gibt; das geht jedoch nur von einer verhältnismäßig kleinen Gruppe aus“, hatte er dem Spiegel noch kürzlich anvertraut. Doch die „Gruppe“ war erfolgreich. Teufel sagt nun, er habe seine Entscheidung eigenständig getroffen, räumt aber ein: „Diese Gruppe will endlich selbst an die Regierung, das ist der einzige Grund. Das ist legitim, aber das rechtfertigt nicht jedes Mittel.“

Gemeint war gewiss auch Baden-Württembergs CDU-Fraktionschef Günther Oettinger, der nun mit Teufels Kronprinzessin Annette Schawan um die Nachfolge des Ministerpräsidenten knobelt und jegliche Schuld von sich weist: „Ich glaube, dass es keine Intrige war und weise auch den Vorwurf zurück“, beteuerte er gestern. Es ist bekannt, dass Teufel den Fraktionschef seit längerem in Verdacht hatte, gegen ihn zu intrigieren.

Erwin Teufel, 65, zieht sich von seinen Posten zurück, aufs Altenteil. Politiker jedoch können theoretisch weitermachen bis ins Grab. So mancher nutzt diese Möglichkeit weidlich – zumindest bis sich ein hinreichend starkes Rudel findet, um das angegraute Alphamännchen wegzubeißen. Eine Gruppe. Eine „kleine Gruppe“ reicht auch, wenn sie nur geschickt vorgeht.

Auch Bernhard Vogel wurde 1988 von seinen eigenen Leuten aus dem Amt als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz gedrängt. „Gott schütze Rheinland-Pfalz“, lauteten seine geschockten Abschiedsworte. Sprach’s, und verließ das Land von Rhein und Mosel in Richtung Thüringen, wo er, mit neuer Karrierechance zum Wendeauftakt in der Ex-DDR, von keiner Gruppe belästigt seine Amtszeit zu Ende regieren konnte.

Ein Glück, das Erwin Teufel so nicht beschieden ist. Er hätte ja auch freiwillig gehen können, aber das ist in der Union offensichtlich nicht üblich. Teufels unschöner Abgang ist die logische Konsequenz einer unionsinternen Mentalität, die sich aus patriarchalen und sozialdarwinistischen Strukturen speist. Es beginnt in der Jungen Union: Dorthin gehen junge Menschen, die sich anziehen wie ihre Eltern und auch so reden. Im Windschatten eines breiten väterlichen Kreuzes – so Oettinger in dem Teufels – kriechen sie jahrelang in Richtung Macht, dabei bereits heimlich und von Vati unbeobachtet Allianzen für den Ernstfall schmiedend – und sei es im Flugzeug über den Anden.

Der offene Konflikt wird jahrelang gescheut, da er als zu gefährlich empfunden wird – der Rudelführer könnte scharf bestrafen. Erst wenn das Alphatier Schwäche zeigt, erfolgt der vernichtende Zugriff.

Das kann für alle Beteiligten – vor allem für jene, die aufs falsche Pferd setzten – schmerzhaft sein. Dem Staatsminister Christoph Palmer, Teufel treu ergeben, entglitt ob seiner Ohnmacht gegenüber den Umtrieben in der Südwest-Union die Hand: Er ohrfeigte den CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer („Drecksau“), weil dieser mitverantwortlich für Vater Teufels Demontage gewesen sein soll. Eine menschliche Reaktion inmitten eines shakespearischen Dramas. Palmer ist nun samt seinem Ziehvater untergegangen – ohne dessen Schutz war er sehr, sehr chancenlos, in die Intrigen der „Gruppe“ scheint er nicht eingeweiht gewesen zu sein.

Mobbing kommt vom englischen Verb to mob, übersetzt: über jemanden herfallen. Konrad Lorenz hat es benutzt, um aggressives Tierverhalten zu beschreiben. Im Soziobiotop der Union zählt dieses Verhalten zum Standard, die Methode der gewaltsamen Ablösung des Patriarchen gehört zu den tradierten Werten: Das gehört so, weil es nur selten um Inhalte, aber immer um Macht geht.

Die Patriarchen sollten sich nicht wundern über das Verhalten ihrer mit strenger Hand herangezüchteten Brut, denn sie kann nicht anders. Helmut Kohl ist bis heute beleidigt, dass ihn ausgerechnet Angela Merkel gemeuchelt hat, dabei ist sie bei ihm in die Lehre gegangen.

Ach ja, falls sich Annette Schawan am baden-württembergischen Erbhof durchsetzen sollte: Vielleicht steckt hinter allem Gerangel gar keine Gruppe, sondern eine einzelne Frau, protestantisch, aus dem Osten. Die, wie es aus dem Männerrudel heißt, mit der „kalten Hundeschnauze“.