DIE KONTROVERSE ZWISCHEN JAN PHILIPP REEMTSMA UND HORST-EBERHARD RICHTER: BRAUCHEN WIR EINEN NEUEN BLICK AUF DEN LINKEN TERROR?

Jan Philipp Reemtsma hat in einem am 16. 10. im taz.mag abgedruckten Interview eine neue Deutung der RAF-Geschichte entworfen. Unterschlagen worden sei bislang in der Linken die Machtfaszination, die von der Gewalt der RAF ausgegangen sei – dafür habe man die RAF als Ausdruck der Ohnmacht irregeleiteter Idealisten beschönigt.

Als Beispiel dafür führt Reemtsma den Dialog an, den Horst-Eberhard Richter mit der RAF-Angehörigen Birgit Hogefeld führte (veröffentlicht 1996 im Gießener Psychosozial Verlag). Reemtsma attestiert Richter den Versuch „einer empathischen Eingemeindung der RAF in die Grundintentionen der pazifistischen Linken“. Sein zentraler Vorwurf lautet, dass Richter dabei die RAF-Gewalt schönfärbe. In den Texten werde „auf eine unerhört rohe Weise über die Mordtaten gesprochen – nicht nur von Hogefeld, auch von Richter. Auch bei ihm ist von der ‚Erschießung‘ des US-amerikanischen Soldaten Pimental 1985 die Rede – wieso wird da das Wort ‚Mord‘ nicht verwendet? Warum der technische Ausdruck ‚Erschießung‘?“ Typisch sei, dass bei Richter nicht von der Ermordung Hanns Martin Schleyers und den Qualen der Passagiere der entführten Lufthansamaschine „Landshut“ 1977 die Rede sei. Dies müsse Richter ausblenden, weil seine „Eingemeindungsstrategie der RAF gegenüber sonst nicht funktionieren würde“. Richter denke „nicht darüber nach, dass die Täter ihre Taten genossen haben“.

In diesem Streit geht es nicht um eine private Auseinandersetzung zwischen Reemtsma und Richter, sondern um wesentliche zeithistorische Probleme. Es geht um die Frage, welches Verhältnis wir heute, im Jahr 2004, zur RAF haben sollen. Damit geht es zugleich um die Deutungshoheit über ein wichtiges Stück bundesrepublikanischer Geschichte.

Wir geben Horst-Eberhard Richter die Möglichkeit, auf Reemtsmas Anwürfe zu antworten. taz