Die Umverteilung von Glamour und Schönheit

Geheimnis und Gewalt: Karim Ainouz’ Spielfilm „Madame Satã“ schmiegt sich an den brasilianischen Crossdresser, Performer und Kleinkriminellen João Francisco dos Santos

João Francisco dos Santos hat einen Traum: Er möchte einmal auf der Bühne stehen, in einem glänzenden Kleid, im heißen Licht der Scheinwerfer, entrückt aus der dicken Luft in den kleinen Bars und Varietés des Künstlerviertels Lapa in Rio de Janeiro. João Francisco träumt sich in einer Rolle, die er dem Hollywoodkino entlehnt: „Madama Satã“, frei nach Cecil B. DeMilles „Madame Satan“ aus dem Jahr 1930. In der ersten Szene des Films „Madame Satã“ von Karim Ainouz steht aber noch Vitoria dos Anjos auf der Bühne, ein etablierter Star. Sie singt ein Chanson von Josephine Baker, während João Francisco ihr aus der Künstlergarderobe zusieht. Seine Zeit kommt erst.

Die Gegenwart des Films ist das Jahr 1932. Die zumeist schwarzen Menschen in Lapa bringen sich durch mit kleinen Geschäften und Delikten, und sie verkaufen sich selbst an reiche Kunden aus den besseren Vierteln. João Francisco lebt mit seiner Geliebten Laurita, einem gemeinsamen Kind und seinem Freund Tabu in einer Kleinfamilie, in der alle Formen der Sexualität möglich sind. Es ist ein nahezu ideales Leben unter den Bedingungen einer allgegenwärtigen Ausbeutung. Der intime Umgang in der ärmlichen Wohnumgebung kontrastiert mit den Vorstellungen von Glamour und Rivalität, die den Umgang auf den Straßen und in den Hinterzimmern beherrschen.

Die Geschichte des historischen João Francisco dos Santos, der von 1900 bis 1976 gelebt hat, ist gut dokumentiert. Karim Ainouz komprimiert die Handlung im Wesentlichen auf jene Zeit, in der João Francisco (Lázaro Ramos) sich als Madame Satã neu erfindet, zwischendurch jedoch immer wieder durch Gewalttaten in Schwierigkeiten – und ins Gefängnis – kommt. Die raschen Übergänge zwischen einer fast trägen, somnambulen Stimmung und den harten sozialen Realitäten sind eine wichtige Strategie des auf Video gedrehten Films. Die Musik der Zeit spielt eine bedeutende Rolle. Fast durchweg sind brasilianische Klassiker in großartigen Versionen zu hören, häufig jedoch in den Hintergrund gemischt. Sie bilden das kulturelle Ambiente, die Verbindung zwischen Alltag und Selbstüberhöhung, an der João Francisco so gelegen ist.

Die sexuelle Politik von „Madama Satã“ ist Teil einer allgemeineren Transgressions-Strategie: Die Armen fordern ihren Anteil an Schönheit und Reichtum. Eine wichtige Szene ereignet sich vor einem Unterhaltungspalast, zu dem João Francisco mit seinen Freunden keinen Zutritt erhält. Seine Wut steigert sich allmählich, während sich die polizeilichen Ermittlungen gegen ihn konkretisieren. Schon die erste Einstellung von „Madame Satã“ zeigt ihn als Delinquenten, als Mann ohne Rechte, ausgeliefert an eine willkürliche Staatsgewalt.

Karim Ainouz verzichtet darauf, den langen Weg von João Francisco zu zeigen, der als Kind früh verkauft und missbraucht und prostituiert wurde. Aber er zeigt, wie unter der Oberfläche eines attraktiven Körpers die Konflikte immer stärker werden. Das symbolische Regime des Singens und Verkleidens ist eine Alternative nur auf Zeit. Sehr schnell verwandelt sich diese Praxis in eine neue Form der Ausbeutung. Die interessanten kulturellen Transaktionen von João Francisco dos Santos, der das Hollywoodkino auf eine sehr persönliche Weise für sich reklamiert, gehen in dem gleichförmigen Duktus von „Madame Satã“ beinahe ein wenig unter. Die Low-Budget-Regie von Karim Ainouz führt zu einem Period Picture, das sich selbst ausnimmt wie ein Traum von einer vergangenen Zeit: Lapa im Jahr 1932 erscheint als ein mythisches Zeitalter, als eine Ära von Geheimnis und Gewalt.

BERT REBHANDL