Linke verspricht „effizienten Kapitalismus“

Uruguay ist das einzige Land in Südamerika, bei dem alle linken Parteien als geschlossener Block antreten. Ab Sonntag könnten sie erstmals den Präsidenten stellen. Denn die bürgerliche Konkurrenz hat das Vertrauen verspielt

MONTEVIDEO taz ■ Tabaré Vázquez steht auf der untersten Stufe eines roten Busses und winkt beim Fahren seinen Anhängern am Straßenrand zu. Uruguay steckt mitten im Wahlkampf. Über der Hauptstadt Montevideo ist an diesem Tag der Himmel grau, ein kühler Wind bläst durch die Stadt und es regnet in Strömen. Trotzdem säumen tausende von Menschen die Straßen, als die kilometerlange Autokarawane von Vázquez durch die Stadt rollt, um den Präsidentschaftskandidaten des Linksbündnisses „Frente Amplio“ beim Endspurt anzufeuern. Die Euphorie ist echt. Bei den Wahlen am kommenden Sonntag zeichnet sich zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit des kleinen Landes 1825 ein politischer Erdrutsch ab.

Traditionell haben sich bisher die beiden bürgerlichen Parteien Blancos und Colorados an der Regierung abgewechselt. Doch am Sonntag könnte die Linke in Uruguay erstmals einen Sieg erringen. Vázquez könnte gar schon im ersten Wahlgang Präsident des 3,5-Millionen-Einwohner-Landes werden.

Je weiter seine Kolonne in das Zentrum von Montevideo vordringt, umso mehr Autos reihen sich ein, die blau-weiß-rote Fahne der Frente aus dem Fenster hängend. In dem großbürgerlichen Viertel Prado bricht schließlich der Verkehr zusammen, nichts geht mehr. Vázquez steigt aus dem Bus. Mütter reichen ihm seine Kinder zum Küssen, Parteigänger lassen sich ihre Fahne signieren. Er sagt: „Es ist gigantisch, unglaublich.“

In einem kleinen grauen Fiat Uno, der sich hinter den roten Bus geklemmt hat, sitzt Pepe Mujica auf der Rückbank. Er war einst Stadtguerillero der „Tupamaros“ und ist inzwischen Senator der Frente Amplio. Mujica erklärt, wie die Regierung des Linksbündnisses aussehen wird: „Wir wollen einen effizienten Kapitalismus, keinen korrupten.“ Mujica ist Politveteran der uruguayischen Linken und weiß, dass auf die neue Regierung eine gigantische Aufgabe wartet. Er warnt: „Unsere Wähler sind nicht nur Linke, sondern auch Colorados und Blancos.“

Von diesen haben viele ihren alten Parteien angewidert den Rücken gekehrt. Aber es sind nicht nur Enttäuschte, die der Linken jetzt womöglich zur Macht helfen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1971 hat die Frente Amplio kontinuierlich zulegen können. Vor allem Jungwähler machen ihr Kreuz bei dem Parteienbündnis. Es ist aber auch die Geschlossenheit innerhalb der Frente Amplio, die den Sieg möglich macht: In keinem anderen Land Südamerikas ist es den linken Parteien gelungen, geschlossen zur Wahl zu gehen.

Hilfe bekam die Frente Amplio ungewollt vom scheidenden Präsidenten Jorge Batlle. Der Staatschef hatte keine Konzepte, um die Folgen der Wirtschaftskrise einzudämmen, die zum Jahreswechsel 2001/2002 von Argentinien nach Uruguay überschwappte. In nur sechs Monaten zogen Anleger die Hälfte ihrer Bankeinlagen ab, vier Geldhäuser brachen darauf zusammen. Es gab dann keine Kredite mehr, Firmen gingen Pleite und dem Staat ging das Geld aus. Die Folgen waren fatal: 1998 lebten in Uruguay 16,7 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, im vergangenen Jahr waren es fast doppelt so viel.

Kein Wunder also, dass die traditionellen Parteien nur noch wenig Kredit bei den Wählern haben. Jorge Larrañaga, aussichtsreichster Gegenkandidat von Vázquez aus den Reihen der Blancos, strengt sich denn auch schon gar nicht mehr an, auf Sieg zu setzen. Und so kann es sich Vázquez gar leisten, schon im Wahlkampf die Erwartungen an seine Regierung zu dämpfen. Die Schulden Uruguays machen 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, vier Prozent Haushaltsüberschuss sind nötig, um den Schuldendienst zu leisten.

Allzu viel Spielraum hat er nicht. Aber er weiß, es ist eine einmalige Chance. Denn scheitert er als Präsident, wird Uruguay womöglich wieder 33 Jahre auf eine echte Alternative warten müssen. INGO MALCHER