Köpfchen muss man haben

Fossilienfunde von erstaunlich schlauen Zwergenmenschen in Indonesien stellen die Evolutionsbiologie vor ein Rätsel: Hat Intelligenz mit der Größe des Gehirns zu tun?

VON STEFANIE WERNER

Die versteinerten Überreste des Homo floresiensis, eines Urmenschen, der jüngst in Ostindonesien entdeckt wurde, lassen an einer Grundannahme der Evolutionslehre zweifeln. Denn er hatte ein sehr kleines Hirn – und war dabei aber offenbar überraschend schlau.

Riesige Ratten

Bis vor rund 12.000 Jahren lebte dieser archaische Frühmensch auf der Insel Flores in Ostindonesien in einer uns heutigen Menschen fantastisch anmutenden Realität, gemeinsam mit Geschöpfen, die aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ entlehnt scheinen – bis ein Vulkanausbruch dem Leben ein jähes Ende setzte. Die das Archipel bevölkernden Schildkröten, Ratten und Eidechsen waren für moderne Begriffe unerhört groß. Homo floresiensis selbst dagegen von geradezu grotesker Zwergenhaftigkeit. So wie seine Lieblingsbeute: der Miniaturelefant Stegedon. Die Vorstellung, wie 1 Meter große menschenähnliche Wesen mit der Schädelgröße einer Grapefruit Elefanten in Ponygröße jagen, wenn sie sich nicht gerade vor riesigen Komodo-Drachen mit ihren langen Kletterarmen in den Bäumen verstecken, kann schon ein gewisses Gefühl der Rührung aufkommen lassen.

Verzwergung per Inzucht

Die Autoren der ersten Veröffentlichung über die Entdeckung in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature gehen davon aus, dass eine Homo-erectus-Population der javanesischen Variante Flores vor schätzungsweise 900.000 Jahren besiedelte. Jäger und Beute verkleinerten sich von Generation zu Generation. Dieses Phänomen der zunehmenden Verzwergung auf Inseln infolge fortlaufender Inzucht ist gut dokumentiert. So entwickelte sich vor mindestens 38.000 Jahren eine neue menschliche Spezies: Homo floresiensis.

Was allerdings erstaunt, ist die gemessene Gehirngröße der kleinen Frau, die man als erstes der bislang sieben ausgegrabenen Individuen aus den 5,9 Metern Tiefe einer Kalksteinhöhle ans Tageslicht holte: Ihr Hirnvolumen von 380 Kubikzentimetern ist vergleichbar mit dem eines Schimpansen.

Es wird angenommen, dass unser kleiner Verwandter seine Elefantensteaks am Feuer briet und über präziser entwickelte Steinklingen als der Homo erectus verfügte – eine erstaunliche kulturelle Leistung. Das australisch-indonesische Ausgrabungsteam um den Anthropologen Peter Brown ist davon überzeugt, dass die dieser These zugrunde liegenden Artefakte nicht von Homo sapiens stammen können, der dem Zwergenvolk nach Meinung anderer Experten den Garaus gemacht haben soll. Nein, sagt er, sie lagen direkt in einer Schicht mit ihren Knochen, und Hinweise auf die Überreste moderner Menschen gebe es auf dem indonesischen Eiland nicht.

Vielmehr müsse „die ganze Idee der Notwendigkeit einer besonderen Gehirngröße zur Befähigung intelligenten Handelns“ grundsätzlich neu überdacht werden, da sie „mit diesem Fund komplett ruiniert“ wäre.

Menschliche Varianten

Auf einer isolierten Insel konnte sich also eine archaische Menschenform bis in eine Zeit behaupten, als der moderne Homo sapiens schon längst den Großteil der Welt beherrschte. Selbst wenn die Zwergmenschen von Flores damit nur einen blinden Seitenzweig des Hominidenstammbaums bilden und nicht zum Umschreiben der ganzen Evolutionsgeschichte zwingen müssen, belegt dieser Fund dennoch eine weitaus größere Variationsbreite innerhalb der Gattung Homo als bislang angenommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich weitere Thesen der Ausgräber erhärten werden: die des Baus von Schiffchen, mit denen Homo floresiensis möglicherweise Nachbarinseln besiedelte oder die der Ausbildung verschiedener Arten aus Homo erectus auf diversen Inseln.

Eine Annahme des Ausgrabungsleiters Mike Morwood ist allerdings schon jetzt berechtigt: Nicht nur Afrika, sondern auch andere Teile der Welt, wie in diesem Falle Südostasien, spielten eine komplexe Rolle bei der Verbreitung der menschlichen Rasse und ihrer kulturellen Veränderungen.