Die große Abraham-Frum-Show

VON MAXIM BILLER

Also gut, Herzberg, hier ist die Geschichte von Teddy, Clara und mir. Sie haben gesagt, ich soll sie für Sie aufschreiben, darum mache ich es, aber es geht mir furchtbar auf die Nerven. Wie wär’s statt dessen mit meinem schönsten Ferienerlebnis? Oder ich könnte vielleicht auch einen Aufsatz darüber schreiben, warum ich später Astronaut werden will. Gut, ich fange an. Vor meinem Artikel über Teddy kannte mich kein Mensch, Teddy kannte jeder. Der Mann mit der Flasche, das junge jüdische Genie, Judas Rache. Sie wußten ja auch sofort, wer er ist, als ich das erste Mal seinen Namen erwähnt habe. Sie meinten sogar, sie hätten New Auschwitz On The Block schon zweimal gelesen, und Sie und Ihre Frau würden es sich gern von Teddy signieren lassen, ob ich nicht dafür sorgen könnte. Sie hatten mal wieder nicht zugehört, Herzberg. Ich sage, ich habe Teddy endlich fertiggemacht, ich habe ihn auf dreihundert Zeilen gegrillt, links oben, bester Aufmacherplatz. Und Sie sagen, Abi, können Sie Teddy unser Exemplar von New Auschwitz geben, damit er für uns was reinschreibt? Was hätte er reinschreiben sollen? Für Doktor Herzberg, der den miesen Abi Frum immer so gut bei Laune hält, in Freundschaft, Ihr Theodor Goldstein?

Ich habe Teddy fertiggemacht, weil Clara es wollte. Es war ihre Idee. Sie hatte zwei Jahre nichts wegen ihm gegessen, über ihrem Schreibtisch hingen immer noch Fotos von ihm. Jedesmal, wenn das Telefon klingelte, holte sie tief Luft, bevor sie den Hörer abhob. Sie dachte zwei Jahre lang, er ruft plötzlich an und sagt, ich bereue, ich kann wieder aufrecht aus einer Bar rausgehen, ich liege nicht mehr in den Betten meiner Leserinnen, darf ich zurückkommen?

Clara und ich sitzen in der Redaktion nebeneinander, da ist nur so eine kleine Trennwand aus weißem Plexiglas, und wenn sie telefoniert, richtet sie sich immer auf, und ich kann dann ihre Haare und ihre Augen sehen. Großartig! Ich sehe ihre verhangenen blauen Augen, und ich weiß, er war es zum Glück schon wieder nicht. Dann, vor ein paar Monaten, taucht sie plötzlich hinter der Wand auf, sie hat keinen Hörer in der Hand, und sie sagt: „Teddy ist am Ende. Jemand muß das schreiben.“

„Clara“, habe ich gesagt, „was soll das?“

„Im Borchard neulich, zum Beispiel, ja? Teddy würgt plötzlich den israelischen Botschafter. Keiner hat ihm geholfen, und der kleine Chanan Reis hat Teddy am Ende fast k. o. geschlagen. Dann saß er bei der Pressekonferenz von Goldhagen letzte Woche mit so einem gehäkelten Siedlerkäppchen und hat laut gerufen: Das waren nicht die Deutschen, das war der Typ vom Berg Sinai! Und hast du mal die Sachen gelesen, die er in der letzten Zeit Benesch geschickt hat? Keine Punkte, keine Kommas, verrücktes, wirres Zeug.“

„Ich weiß nicht.“

„Aber ich weiß. Aber ich kann es natürlich nicht machen.“

Was will ich bloß von Clara? Ihr Großvater wurde aus Ostpreußen vertrieben, vielleicht auch aus Pommern oder Schlesien, ich weiß bis heute nicht, was was ist. Clara hat rote Haare, feine, schlanke Oberarme, ein bißchen zu kleine Brüste. Ich sehe sie im Mai 45 auf einem Pritschenwagen, unter fünf Daunendecken versteckt, und statt eines russischen Obersts krieche ich zu ihr unter die Decken, und sie sagt, gut, daß wir beide uns erst nach dem Krieg kennengelernt haben, Abraham, Sie müssen mir erzählen, in welchem Erdloch Sie so lange untergekommen sind. Danach küssen wir uns, und sie fährt mir dabei sofort in die Hose. Gleich bei der nächsten Konferenz habe ich dann gesagt, ich würde gern was Größeres über Teddy machen. Zuerst nur Schweigen. Dann wollte Benesch wissen, warum.

„Man muß gerecht sein“, sagte ich. „Was Goldstein seit Jahren schreibt, ist krank. Können Sie was dafür, Herr Benesch, daß Teddy Goldsteins Mutter in Bergen-Belsen Wassersuppe essen mußte? Nein. Außerdem habe ich gehört, daß Goldstein jetzt schon morgens sein erstes Glas trinkt. Ich sage, das war schon immer so, sonst hätte er New Auschwitz überhaupt nicht schreiben können.“

„Na gut“, sagte Benesch, „aber mit Takt. Da darf kein falsches Wort drinstehen.“

Ich nickte.

„Holocaust sour“, sagte Benesch und sah in die Runde. Acht nette, ängstliche Deutsche bohrten ihre Blicke in den Boden, nur Clara nicht. „Gute Überschrift?“

Ich nickte wieder, und Clara lächelte mich an, und dabei gingen ihre Lippen leicht auf. Clara hat Sommersprossen auf den Lippen, Herzberg, habe ich das schon mal gesagt?

Als Teddy und ich noch zusammen in München studierten, hatten wir nicht denselben Frauengeschmack. Er mochte schon immer die feinen deutschen Mädchen, ich machte einen Bogen um sie. Wir waren keine richtigen Freunde, aber wir saßen manchmal in der Cafeteria in der Schellingstraße oder lagen im Sommer auf dem Rasen davor und redeten über Frauen. Wir redeten auch über andere Sachen. Er las schon damals Jabotinsky, Mapu und Achad Ha-Am rauf und runter, ich interessierte mich eher für Else Lasker-Schüler, Immanuel Bin-Gorion, Max Brod und Scholom Alejchem, eben den ganzen sentimentalen Diasporakram. Dann gab Teddy zwei Nummern seiner Zeitschrift heraus, die heute keiner mehr kennt, und er wollte wissen, ob ich auch dafür schreiben möchte. Ich dachte wochenlang nach, dann sagte ich, ich würde gern was über die Idee der arabisch-jüdischen Koexistenz bei Martin Buber machen. „Vergiß es“, hat er gesagt. Seine Zeitschrift hieß übrigens Die Uzi.

Einen Tag, nachdem „Holocaust sour“ erschienen war, wurde ich das erste Mal im Leben von jemandem vom Fernsehen angerufen. Eine Frau zwischen vierzig und irgendwas fragte mich ungeduldig, ob ich in eine Sendung kommen möchte, es ginge um den israelischen Sicherheitszaun. „Die neue Berliner Mauer, verstehen Sie?“

„Warum ich?“, sagte ich.

„Ich habe Ihre Abrechnung mit Goldstein gelesen“, sagte sie. „Sie haben Eier.“

Ich mußte husten. „Ich habe was?“

„Ich dachte, mit Ihnen kann man offen reden.“

„Klar.“

„Sie schonen auch die eigenen Leute nicht. Kommen Sie? Übernächsten Mittwoch, Viertel nach acht. Wir holen Sie ab“ – sie machte eine Pause – „und bringen Sie auch wieder zurück.“

Ich mochte den Witz. „Ja“, sagte ich. „Vielen, vielen Dank.“ Zwei Tage, nachdem „Holocaust sour“ erschienen war, haben Clara und ich uns das erste Mal geküßt, und sie fuhr mir dabei sofort in die Hose. Wir waren bei ihr in der Kleinen Hamburger, zwischen Torstraße und Fußballplatz. Durch das offene Fenster hörte man die Fußballspieler, sie schrien ständig irgendwas, und wenn einer gefoult wurde, stöhnte er genauso laut auf wie ich.

Clara wollte nur auf mir sitzen. Sie saß aufrecht da, die Arme wie ein O in der Luft, und ich sah sie durch Pommern oder Ostpreußen oder Schlesien reiten, einen schönen, kräftigen Schimmel zwischen den Schenkeln, das rote Haar im Wind. Was für eine banale Phantasie! Aber er stand mir dabei wie nie vorher.

Am Morgen lagen Rosenblätter auf dem Frühstückstisch. Clara fragte mich, wie ich mein Ei haben will. Viereinhalb Minuten später köpfte sie ihr Ei, während ich an meinem vorsichtig herumklopfte, bevor ich es schälte. Ich habe mir trotzdem die Finger verbrannt.

„Mir geht’s so gut“, sagte sie.

Ich lächelte und dachte stolz daran, wie sie letzte Nacht auf mir kurz ohnmächtig geworden war, nachdem sie „Hammer, o Hammer!“ ausgerufen hatte. „Du hast ihn für mich begraben“, sagte sie, „jeder Satz eine Schaufel Erde, und jetzt kommt er nie wieder zurück. Danke.“

Sie sah mich verträumt an.

„Könntest du dir bitte einen Dreitagebart-Rasierer kaufen? Mit dunklem Serge-Gainsbourg-Schatten siehst du besser aus. Teddy hatte übrigens einen von Philips, er meinte, die gehen nie kaputt.“

Und was war noch mal zwei Wochen später, genau sechzehn Tage, nachdem „Holocaust sour“ erschienen war? Teddy zog wieder bei Clara ein, und Benesch rief mich in sein Glasbüro und sagte, ich solle Urlaub machen, danach würden wir sehen. Aber im dritten Stock könnte ich sicher nicht bleiben.

Damals habe ich Sie überall gesucht, Herzberg, aber Sie gingen nie ran, wenn meine Nummer auf Ihrem Telefon auftauchte. Sie hatten Schuldgefühle – zu Recht. Statt mich vor diesen dreihundert idiotischen Zeilen zu warnen, die alles veränderten, meinten Sie, ich solle mir die Show nicht nehmen lassen. Sie werden sich natürlich nicht erinnern. Aber Sie haben wörtlich gesagt, wenn ich nur ein Zehntel von dem, was ich Ihnen immer erzähle, in meinen Anti-Goldstein-Artikel reinschreibe, wäre ich hinterher wie befreit, und wir könnten uns ein paar Sitzungen schenken. Und etwas gegen meinen Klein-Mojsche-Komplex hätten wir dann auch noch getan. Danke für nichts, Doktor.

Nochmal zurück. Nach dem Rosenblattfrühstück bin ich mit Clara zusammen in die Redaktion gefahren. Wir saßen auf unseren Fahrrädern, und an der Behrenstraße fuhr ich weiter geradeaus und rief, ich müßte schnell in die Galeries Lafayette, was besorgen. Als ich eine halbe Stunde später mit meinem neuen Philishave T 788 in die Redaktion reintänzelte, sah mir kein Mensch in die Augen. Na gut, das kenne ich ja. Aber Clara ignorierte mich auch. Die Hammer-o-Hammer-Clara!

Ich klopfte gegen die weiße Plexiglasscheibe. Nichts. Ich wackelte mit meinem quietschenden Stuhl hin und her und stöhnte dazu leise. Nichts. Ich ließ meinen Philishave auf Höchstfrequenz laufen. Wieder nichts. Dann wählte ich ihre Nummer, hörte es hinter der Plexiglasscheibe klingeln, und als sie den Hörer abnahm, sagte ich: „Am nächsten Mittwoch bin ich im Fernsehen, da machen wir den Sargdeckel richtig zu.“ – „Abi?“, sagte sie überrascht.

„Ja, genau der. Man nennt mich auch den Hengst von Mitte.“

„Teddy hat was geschrieben. Gegen dich. Benesch wird es drucken.“ – „Ohne Punkte und Kommas?“

„Seit New Auschwitz sein bester Text. Entschuldige, ich muß jetzt weitermachen.“

In New Auschwitz hatte Teddy den Deutschen erklärt, sie würden erst dann aufhören, so verklemmt zu sein, wenn es keinen einzigen Juden mehr auf diesem Planeten gebe. „Juden verunsichern euch. Ihr denkt an ihre großen, frechen, braunen Augen, wenn ihr Geschäfte macht, Bücher schreibt oder auf Parties über Politik redet, und sofort geht alles daneben. Entweder der lustige Doppelgänger von Mr. Chaplin kommt wieder und dreht seinen Film zu Ende – oder ihr verschwindet selbst von der Erde.“ Ja, Teddy hatte schon immer eine ganz persönliche Art, mit ernsten Themen umzugehen.

Von New Auschwitz On The Block verkaufte er hundertfünfzigtausend Stück. „Das Frümchen“ sollten etwa vierhunderttausend Leute in die Hände bekommen – das ist unsere Auflage, ich meine, die Auflage der Zeitung, bei der ich mal war. Fast eine halbe Million las also, was für ein Nichts ich bin. So wird man auch berühmt, Sie Chochem.

„Das Frümchen“ handelte von mir und von Clara. Teddy nannte natürlich nicht ihren Namen. Aber am Ende war klar: Ich war verrückt geworden wegen einer Frau, und „Holocaust sour“ war kein Artikel, sondern ein Mordversuch aus Geilheit und genauso ein korrupter Rechfertigungsbrei wie die berühmte Strukturalismus-Bibel von Paul de Man, dem belgischen Nazi. „Abi Frum ist kein Journalist mehr, denn Wahrheit ist nicht seine Sache“, war Teddys letzter Satz, „er ist ein wildgewordener Okkupant fremder Herzen, ein Lügner, ein Ein-Ei-Mann, ein Frümchen.“ Daran erinnern Sie sich bestimmt noch, Herzberg.

Clara und ich haben uns nie wieder geküßt. Es ist mir egal, Herzberg, glauben Sie mir. Ja, ich stand dann noch eine Weile jeden Morgen vor ihrer Tür in der Kleinen Hamburger und fing sofort an hysterisch zu lachen, wenn sie rauskam. Ich fuhr auf dem Fahrrad bis zum Büro hinter ihr her und sang alte jemenitische Liebeslieder. Und ich fragte sie im Fahrstuhl genau achtmal – ich habe mitgezählt –, ob sie mich heiraten möchte. Sie hat mich ignoriert, immer wieder. Nur einmal sagte sie, ich hätte sie nicht gegen Teddy aufhetzen dürfen, ich hätte mich hinterhältig in ihr Herz geschlichen. Recht hatte sie. Es ging ja auch nie um sie, Herzberg, es ging immer nur um Teddy. Verdammt. Wieso hat er immer das, was ich haben möchte?

Karl-Kraus-Hauptseminar, Sommersemester 1987. Teddy, der damals so aussah wie der junge Bob Dylan, hatte seinen großen Auftritt gleich in der ersten Stunde. Er stand auf, fuhr sich über die unrasierten, schwarzen Wangen und sagte, er zahlt jedem hundert Mark, der ihm in fünf Minuten beweist, daß Karl Kraus ein guter Schriftsteller war und kein verklemmter, besserwisserischer, antisemitischer Jude. Dann legte er seine Armbanduhr vor sich auf den Tisch und setzte sich wieder. Was für ein Auftritt, Herzberg! Nichts, kein Ton. Sogar dem Professor fiel nichts ein. Irgendwann erhoben sich alle stumm und gingen langsam raus, und Teddy nahm wieder seine Uhr, und ab da lief ohne ihn nichts mehr. Teddy machte eine neue Referatsliste. Er sorgte dafür, daß hinterher alle immer auf eine Nudelsuppe ins Cohen’s gingen. Und einmal brachte er sogar seine Gitarre mit, lehnte sich wie Charles Trenet gegen die Bar und spielte „O Roumania“. Mit einem anderen Text natürlich: „O Germania, Germania, Germania …“ Und ich stand neben ihm und hielt ihm die Zettel, und am Ende machte ich „Ojojoj!“, und alle guckten mich an, den kleinen, häßlichen, aufgeregten Idioten.

Heute sieht Teddy wie der alte Bob Dylan aus, oder wie Serge Gainsbourg, wie Clara meint. Oder wie Yassir Arafat, wenn Sie mich fragen. Darum wäre es auch an der Zeit für eine hübsche kleine Verbannung. Ich sehe zehn kräftige Zahal-Soldaten mit Doktortitel in der Kleinen Hamburger die Tür eintreten, sie zerren Teddy aus Claras Bett, wo die beiden gerade das Große Pferderennen von Ascot nachspielen. Draußen wartet schon der Hubschrauber und fliegt Teddy nach Abu-Ghraib, dort darf er die nächsten Jahre das Bauen menschlicher Pyramiden üben. Und Benesch ruft mich am nächsten Morgen in die Redaktion und sagt: „Frum, zurück an den Schreibtisch!“

Vielleicht hätte er das wirklich getan, wenn ich nicht ins Fernsehen gegangen wäre. Warum, warum, warum? Herzberg, das war auch Ihre Idee gewesen! Okay, ich hatte Ihnen nicht gesagt, daß ich mir vorher mit meinem T 788 einen Irokesenschnitt schneiden würde, daß ich in der Sendung auf Jiddisch den Sicherheitszaun verteidigen und die Deutschen anflehen würde, ihre Kinder nicht mehr mit Namen wie Jona, Sara und Levin zu quälen. Und ich hatte auch gar nicht vor zu erzählen, daß Teddy mich auf der Buchmesse vor acht Jahren überredet hatte, mit den Mädchen vom Leierkasten die vermasselte Befreiung der Geiseln von München nachzuspielen. Aber so einen ähnlichen Auftritt hatten wir doch abgesprochen! Wir haben gesagt, ich soll das, was ich in „Holocaust sour“ angefangen habe, vor laufenden Kameras zu Ende führen, denn nichts sei schlimmer als der noch zuckende Körper deines Feindes. Hahaha, Herzberg. Wessen Körper zuckt denn hier? Gestern war es meiner, bei 200 Volt, und hinterher wischte mir eine alte, zitternde Nachtschwester den Speichel aus dem Mundwinkel. Nachdem sie es mit demselben Kleenex zuerst bei sich selbst gemacht hatte.

Hier in der Klinik geht es mir eigentlich ganz gut, danke. Ich habe viel Zeit, und wenn ich mit der Sache für Sie fertig bin, fange ich etwas Größeres an. Es wird eine Liebesgeschichte, also ein Roman, also nichts von der Sorte von New Auschwitz On The Block. Es wird trotzdem alles drinstehen, alles über Teddy, Clara und mich. Alles darüber, warum er zu ihr zurückgegangen ist, warum sie nicht bei mir geblieben ist, warum sich mein Bulbul nach der Therapie immer wie eine fünf Tage alte Latke anfühlt, warum mir das alles egal ist und warum zum Schluß alles ganz anders kommen wird. Es wird eine Entgegnung auf Teddys letzten Artikel sein, also nicht auf „Das Frümchen“, sondern auf „Das Ende des öffentlichen Juden T. G.“, Sie wissen schon, seine beschissene Beichte im Michel-Friedman-Stil, die Benesch nach meinem Rausschmiß dann natürlich auch noch drucken mußte.

Ich habe mir schon erste Notizen gemacht. Alles fängt in der Kleinen Hamburger an. Clara und Teddy liegen in der Badewanne, sie schauen sich minutenlang verliebt an, und irgendwann fängt sie an zu weinen. „Warum weinst du?“, sagt er.

„Weil ich so glücklich bin.“

„Und warum bist du so glücklich?“

„Weil dein Finger gerade so schön in mir hin- und herfährt.“

„Aber das tut er doch gar nicht.“

Sie lacht, weint, lacht wieder.

„Weil du so ein kluger, kluger Mann bist.“

„Bin ich das?“

„Ja, der klügste weit und breit. Du gehst einen einsamen Weg. Du machst, was immer nur große Männer gemacht haben. Du wechselst den Glauben.“ – „Sag mir ihre Namen …“

„Joseph Roth. Marx. Sammy Davis jr.“

„Aber bei dem war’s doch genau andersrum, der wurde Jude.“ – „Entschuldige, das hab’ ich verwechselt.“

Verstehen Sie, Herzberg? Damit fängt es an. Teddy kann nicht mehr. Er will sich nicht mehr im Borchard mit Chanan Reis prügeln, er will nicht mehr einmal im Monat von der New York Times gefragt werden, wann das Vierte Reich kommt, er will nicht mehr im Vollrausch immer neue Schimpfwörter für die Deutschen erfinden, er will nicht mehr jede zweite Nacht in einem anderen Bett schlafen. Er will seine Ruhe. Er läßt sich die Vorhaut annähen, heiratet Clara in ihrer Familienkapelle am Starnberger See, und zwanzig Jahre Ewiger-Jude-Show sind zu Ende. Aber dann komm’ ich, das Frümchen, der Ein-Ei-Mann, der Schatten, den Teddy Goldstein seit zwanzig Jahren wirft. Zwei Monate nach Goldsteins öffentlichem Übertritt in der Paulskirche klingele ich – meine Haare sehen wieder ganz ordentlich aus – in der Kleinen Hamburger an der Tür. Clara macht auf, sieht mich, erschrickt, will die Tür zuschlagen, ich schiebe meinen Fuß rein und sage: „Wir werden uns wiedersehen, in meiner Synagoge, in deinem Bettchen.“ Und es folgen fünfhundert Seiten, wie sie auf deutsch seit New Auschwitz nicht mehr geschrieben wurden. Die letzte Szene weiß ich auch schon. Sie ist nur ganz kurz: Clara und ich liegen in Tel Aviv im Hilton am Pool, ihr Telefon klingelt, und sie geht nicht ran.

„Wieder er?“, sage ich.

„Geschmacklos“, sagt sie.

„Du mußt ihn verstehen“, sage ich. „Er hat alles verloren.“

Sie lächelt. „Du bist so ein kluger, kluger Mann, Abrajmele.“ Ich lächle zurück und sage nichts. Nichts, gar nichts, verstehen Sie, und sie denkt stumm daran, wie schön es sein wird, heute nacht mit mir um die Wette zu wiehern.

Das war’s, Herzberg, für heute ist es genug. Ich bin müde und habe einen komischen Geschmack im Mund, aber irgendwie geht es mir besser. Wissen Sie, es ist verrückt – seit ich hier drin bin, habe ich immer wieder denselben Traum: Ich sehe in den Spiegel, und wen sehe ich im Spiegel? Sie.

PS: Mailen Sie bitte meinen Text an Benesch weiter, vielleicht will er ihn bringen. Die Überschrift weiß ich noch nicht genau. Entweder „Die große Abraham-Frum-Show“. Vielleicht aber auch, leicht selbstironisch, „Das andere Frümchen“.