„Die NPD hat null Chancen“

Extremismusforscher Eckard Jesse glaubt nicht an drohende rechtsextreme Erfolgsserie. „Volksfront“ bisher nur Propaganda

taz: Herr Jesse, die NPD gibt sich selbstbewusst wie lange nicht. Wie steht es tatsächlich um die Partei: Ist sie stärker als vor dem gescheiterten Verbotsantrag?

Eckard Jesse: Die NPD ist zwar heute immer noch schwach, steht aber in der Tat besser da als zur Zeit des Verbotsverfahrens. Damals war die Partei total isoliert, ohne jeglichen Einfluss. Sie hatte Kreide gefressen, sich von den „freien Kameradschaften“ distanziert, kam bei Wahlen nicht einmal auf ein Prozent. Heute feiert sie sensationelle Erfolge im Saarland und vor allem in Sachsen.

Woher nimmt die NPD diese neue Kraft? Hat das Verbotsverfahren sie am Ende gestärkt?

Nein, das Verfahren hat die Partei höchstens ein bisschen bekannter gemacht. Vielleicht denkt der ein oder andere jetzt auch: Die NPD ist doch demokratisch, schließlich wurde sie nicht verboten. Entscheidend für die jüngsten Erfolge ist der Frust über die wirtschaftliche Entwicklung, vor allem in der ostdeutschen Bevölkerung. Hartz IV hat der NPD zusätzlich in die Hände gespielt.

Parteichef Udo Voigt will die Delegierten am Wochenende auf das Projekt „Volksfront von Rechts“ einschwören. Kann dieser Kurs der NPD bundesweit zum Durchbruch verhelfen?

Voigt propagiert damit einen Spagat: Er will ein Bündnis aller rechtsextremen Parteien einschließlich der DVU. Andererseits versucht er, die teilweise offen neonationalsozialistischen „freien Kameradschaften“ in die NPD zu holen. Zwei oder drei Kameradschaftsführer sollen ja sogar in den Bundesvorstand gewählt werden. Ich sehe da allerdings riesige Probleme auf Voigt zukommen, vor allem mit Blick auf das propagierte Bündnis für die Bundestagswahl. Denn: Man kann nicht gleichzeitig DVUler, die den Anschein der Verfassungstreue erwecken, und militante Kameradschaftsaktivisten begeistern. Die Unterschiede zwischen beiden Lagern sind viel zu groß.

Warum hat die NPD-Spitze diese Bedenken nicht?

Bei ihr spielt Autosuggestion eine große Rolle. Die macht sich was vor. Leute wie Voigt, das sind Figuren mit riesigem Geltungsdrang, die übernehmen sich oft. Außerdem gehört der NPD-Chef selbst dem radikalen Parteiflügel an. Deshalb träumt er davon, endlich die Kameradschaften einzubinden.

Droht der NPD damit ein neues Militanzproblem?

Allerdings. Viele Anhänger der Kameradschaften distanzieren sich nicht von Gewalt. Auch deshalb kann das Projekt meiner Ansicht nach nicht gut gehen.

Ein ähnlicher Anlauf zur Einbindung der militanten Szene Ende der 90er führte mit zum NPD-Verbots-Antrag. Hat die NPD heute überhaupt noch etwas zu befürchten?

Vermutlich sagt sich Voigt tatsächlich: Unsere Partei ist jetzt „unverbietbar“, wir können uns das erlauben. Ich glaube aber, diese Strategie schafft so viele Probleme innerhalb der NPD und mit dem Umfeld, dass Voigt letztlich beide verlieren könnte – die DVU und die Kameradschaften. Die NPD wird weiter in vielen rechtsextremistischen Kreisen abgelehnt. Und: Bisher gibt es die „Volksfront“ nur auf dem Papier!

Welche Chancen hat die Partei bei den nächsten Wahlen? Droht eine Serie rechtsextremer Erfolge?

Die Aussichten der NPD sind gleich null. Sie wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der Bundestagswahl klar an der Fünfprozenthürde scheitern. Bundesweit traue ich ihr nicht viel mehr als zwei Prozent zu. Auch bei den nächsten Landtagswahlen gebe ich der Partei keine große Chance.

Warum glauben Sie nicht an weitere NPD-Erfolge?

Gewiss gibt es derzeit ein besonderes Potenzial von Protestwählern. In Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen ist die wirtschaftliche Situation aber völlig anders als in der NPD-Hochburg Sachsen. Außerdem fehlt dort jede Basis für eine ähnliche Verwurzelung. Im Westen würde sich keiner, der etwas auf sich hält, für die NPD engagieren. Und die NPD bleibt eine Partei, die nichts zu bieten hat.

Fürchten Sie nicht, dass DVU und NPD in einem Bündnis gegenseitig ihre Schwächen kompensieren?

Ich sehe noch gar nicht, dass diese Verbindung zustande kommt. Erst mal müssten die Parteien sich einigen. Davon kann bisher nicht die Rede sein. Und ich würde auch bezweifeln, dass ein solches Bündnis überhaupt bis 2006 hält.

Sie halten die aktuellen Warnrufe vor den Rechtsextremen also für Panikmache?

Alarmismus ist unangebracht. Ich plädiere für mehr Gelassenheit. Unser Staat ist eine offene Gesellschaft, da gibt es immer einen Bodensatz von Rechts- und Linksextremisten. Aber damit können wir leben. Voigt hat ja nur Interesse daran, dass man alles für bare Münze nimmt, was er sagt. Entscheidend ist, dass man diesen Propagandamärchen, diesen Hirngespinsten nicht auf den Leim geht – das gilt gerade auch für den Parteitag am Wochenende. Denn hinter verschlossenen Türen dürfte es unter den NPDlern in Leinefelde ordentlich brodeln.

INTERVIEW: ASTRID GEISLER