„Merkel und Schavan sind eine weibliche Mini-Seilschaft“, sagt Barbara Holland-Cunz

Die CDU-Vorsitzende sollte aufhören so zu tun, als hätte der Machtkampf in der Union nichts mit ihrem Geschlecht zu tun

taz: Frau Holland-Cunz, der derzeitige Machtkampf in der Union hat sowohl Angela Merkel als auch Annette Schavan beschädigt. Nun versuchen beide, sich gegenseitig zu stützen. Geben sie dabei nicht ein Bild der Schwäche ab?

Barbara Holland-Cunz: Ganz im Gegenteil, sie vermitteln Stärke. Natürlich ist in den letzten Tagen ununterbrochen von der Schwäche von Angela Merkel und der angeblichen Chancenlosigkeit von Annette Schavan geschrieben worden. Aber Merkel ist seit einiger Zeit die Vorsitzende einer großen Volkspartei und Schavan hat ihre pointierte Position in der Kopftuchdebatte streitbar verteidigt. Das sind nicht zwei schwache Frauen, die sich aneinander klammern und versuchen sich aus dem Sumpf zu ziehen.

Ist diese Verbindung zwischen Merkel und Schavan etwas Neues?

Zwischen beiden gibt es eine Art weibliche Mini-Seilschaft und das ist zumindest in diesem Bereich der Öffentlichkeit etwas völlig Neues. Ich sehe das mit großem Vergnügen, zumal beide Frauen ein sehr modernes Rollenbild verkörpern. Sie sind Vollprofis, die nie mit Familie zu sehen sind, sondern für sich selbst und ihre Kompetenz stehen.

Frau Schavans Gegner werfen ihr vor, dass sie ohne Mann und Kinder lebt. Warum funktionieren solche Argumente noch immer? Hat die Frauenbewegung nichts bewirkt?

Es ist ein Verdienst der Frauenbewegung, dass unterschiedliche Formen des Zusammenlebens so stark zugenommen haben. Die Familie ist nicht mehr das alleinige Rollenbild. Deshalb wäre es für die Gesellschaft angemessen, wenn Annette Schavan Ministerpräsidentin werden würde. Ganz offensichtlich gibt es aber eine Differenz zwischen dem gesellschaftlichen Bild und dem, was die Politik meint den Menschen verkaufen zu können.

Kann sie das nicht deshalb, weil dieses neue Gesellschaftsbild beim Schwarzwaldbauern noch nicht angekommen ist?

Das mag eine Rolle spielen, aber der eigentliche Grund ist Macht. Wenn die Gegner von Frau Schavan auf die Meinung der Menschen hören wollten, würden sie eine Mitgliederbefragung in ihrer Partei nicht fürchten. Es geht vielmehr darum, dass zwei Frauen mächtige Positionen besetzen könnten, eine solche Konstellation gibt es bisher hierzulande nicht. Die Signalwirkung eines erfolreichen Duos Merkel/Schavan macht ihren Gegnern und vielleicht sogar ihren Freunden Angst. Neben der realen geht es um symbolische Macht, viele Männer müssten unter einer Frau arbeiten. Und dieses „unter“ kann nicht genug betont werden, das wäre für viele eine große Kränkung.

Wenn Sie schon von Kränkung sprechen: Wie kann es eigentlich sein, dass Merkels Frisur immer noch eine so große Rolle in der Diskussion spielt?

Politikerinnen berichten durch die Bank von ähnlichen Erfahrungen. Es ist unbestritten, dass es bei Frauen eine viel höhere Aufmerksamkeit für Äußerlichkeiten gibt. Ich erinnere mich an Diskussionen über die vielen Ringe von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis. Das ist eine Abwertungsstrategie. Wer über die Frisur von jemandem spricht, muss dessen Kompetenz nicht anerkennen.

Könnte Simonis ein Vorbild für Schavan und Merkel sein?

Simonis verkörpert ein weicheres Frauenbild. Merkel und Schavan sind für viele offensichtlich schwerer erträglich. Aber sie sollten sich auf keinen Fall Simonis anpassen.

Würden eine Kanzlerin Merkel und eine Ministerpräsidentin Schavan einen gesellschaftlichen Wandel bedeuten?

Der gesellschaftliche Wandel ist längst da, aber die Politik müsste ihn dann endlich registrieren. Derzeit läuft die politische Klasse den Veränderungen hinterher und fühlt sich ganz wohl dabei. Immer noch gilt es als selbstverständlich, dass die Republik eine Bundeskanzlerin und eine Bundespräsidentin gleichzeitig nicht verkrafte würde. Das würde sich nach einem Erfolg von Merkel und Schavan ändern, denn dieses Mal geht es im Unterschied zu der Kandidatur von Gesine Schwan um wirkliche Macht.

Seit dem kulturellen Rollback der 90er gilt Feminismus als unzeitgemäß. Die Menschen orientierten sich wieder stärker an traditionellen Rollenbildern. Ist der Konflikt um Merkel und Schavan eine Auswirkung dieses Rollbacks?

Nein, ich glaube das nicht. Die Theorie des Rollbacks sehe ich sowieso skeptisch. Es gibt einen deutlichen Antifeminismus und es ist out, Feministin zu sein. Aber die Antifeministen handeln schlau, wenn sie sagen: Wozu für mehr Chancengleichheit kämpfen, Frauen sind doch heute gleichberechtigt. Leider zeigen die Zahlen, dass das totaler Unsinn ist. Dieser Mythos, dass die Chancengleichheit schon erreicht wäre, wird durch den derzeitigen Konflikt natürlich unmittelbar angesprochen. Angela Merkel tut nämlich so, als hätten die Intrigen gegen sie nichts damit zu tun, dass sie eine Frau ist.

Angela Merkel thematisiert ihre Weiblichkeit nicht. Macht sie nicht stärker?

Frauen in hohen Positionen meinen das, wenn sie versuchen, dieses Thema von sich fern zu halten. Aber dadurch können sie die Konflikte um ihre Person nicht richtig deuten und kommen zu falschen Schlussfolgerungen. Wenn Angela Merkel artikulieren würde, dass die Intrigen gegen sie auch mit der Geschlechterfrage zusammenhängen, würde das einen Aufschrei auslösen. Der Konsens unter mächtigen Frauen, dieses Problem nicht zu thematisieren, wäre aufgebrochen und eine Diskussion möglich. Und die ist durchaus notwendig.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ