Er ist eben ein düsterer Typ

Fiktion und Wirklichkeit: „American Splendor“, ein Film über den Comic-Autor und Außenseiter Harvey Pekar

In einer eher ruhigen Szene in „American Splendor“ kommen der Mensch und die Figur Harvey Pekar für einen Augenblick zur Deckung. Die Szene findet sich nicht in der autobiografisch angelegten Comic-Reihe gleichen Titels, dennoch besetzt sie das Zentrum der Verfilmung – gewissermaßen als Schnittmenge von Fiktion und Wirklichkeit. 20 Jahre sind Harvey Pekar und Joyce Brabner ein perfektes Ehepaar: er ein zwanghafter Misanthrop, sie eine neurotische Hypochonderin. Und dann entwickelt sich in Anwesenheit der Filmemacher Shari Springer Bergman und Robert Pulcini folgender Dialog: „Sonnenschein und Blumen“, sagt Joyce, „das verkauft sich.“ Harvey entgegnet: „Ich bin eben ein düsterer Typ!“ – „Und ich dachte, ich hätte einen Mann mit Humor geheiratet“. – „Tja. Da hab ich dich wohl reingelegt.“

In dem kurzen Dialog steckt viel Wahrheit über die Ehe und über das Genre der Autobiografie. Die kleinen Täuschungen, das Vorspiegeln falscher Tatsachen, die Selbstmythisierungen stecken im Kern jeder autobiografischen Erzählung, besonders aber in der von Harvey Pekar, dem Aktensortierer und Comic-Autor, der sich selbst zum Comic-Helden macht. Weil er selbst fürs Zeichnen keine glückliche Hand hatte, überließ er seine Texte und Storys einer Armada von Underground-Comic-Zeichnern, die die Figur Pekar in unterschiedlichsten Erscheinungsformen zum Leben erweckte. Darum äußert Joyce vor ihrem ersten Date ihre Skepsis an Pekars tatsächlicher Physis. Wer ist Harvey Pekar? Eine Reinkarnation des jungen Brando, ein drahtiger Prolo-Gott oder ein verknitterter Stinkstiefel, so wie Robert Crumb ihn zeichnet?

Der Film „American Splendor“ nutzt diese Ungewissheit auf grandiose Weise. Berman und Pulcini vermischen Comic-Verfilmung, abgefilmten Comic, Animations-, Interviewfilm und Biopic zu einem angejazzten Porträt, das ebenso viele Facetten und Widersprüche aufweist, wie die Comic-Figur Harvey Pekar Zeichner hatte. „American Splendor“ ist ebenso ein Film über die Problematik von Identifikationsmodellen wie über die Schwierigkeit, als kleine Aktenlaus ein Leben in Würde zu führen. Harvey Pekar kommt uns nur allzu bekannt vor; er ist „unser Mann“, wie der echte Harvey sein Alter Ego vorstellt: „all grown up and going nowhere!“

Dieser Pekar, gespielt von einem unnachahmlich schlecht gelaunten Paul Giamatti, ist keine Kulturtype. Er ist die Art von Zeitgenosse, deren Gegenwart einem mitunter körperliches Unbehagen bereiten kann. Auch deswegen ist seine Geschichte so interessant. Denn „American Splendor“ erzählt unter anderem von den seltsamen Achtzigern, als die Ausbeutung marginaler Soziokulturen in großem Stil angegangen wurde. Pekars Auftritte bei David Letterman, im Film in Form von Archivmaterial und dann auch mit Giamatti nachgestellt zu sehen, nehmen eine Dekade vorweg, in der der Zynismus in voller Blüte stehen wird.

Pekar mit seinen kleinen, langweiligen, akribisch dokumentierten Alltagsgeschichten, gezeichnet von fremden Menschen, stellt in gewisser Hinsicht so etwas wie die Antipode zu diesem Medienzirkus dar. Nicht zuletzt deshalb muss er eine tragische Figur abgeben, wenn er ausgerechnet vor Lettermans Publikum wütend auf seiner Echtheit beharrt. Was soll er schon ernten, außer schallendem Gelächter?

ANDREAS BUSCHE

„American Splendor“. Regie: Shari Springer Bergman, Robert Pulcini. Mit Hope Davis, Paul Giamatti. USA 2003, 101 Min.