„Das ist Giftgas, kein Reis“

Japan, die USA, Frankreich und Australien üben, ein Schiff mit Chemiewaffen abzufangen. Das Seemanöver im Japanischen Meer ist eine Warnung an Nordkorea. Doch das wird nicht offen gesagt

AUS DER BUCHT VON TOKIO MARCO KAUFFMANN

Die japanische Marine braust mit einem Gummiboot auf die „Shirayuki“ zu. 15 Männer mit Helm klettern über eine Strickleiter auf das Schiff und brüllen auf Englisch: „Stehen bleiben, wir kontrollieren das Schiff. Verstanden?“ Der Einsatzleiter kommandiert sein Personal über ein Headset, wie es sonst Telefonistinnen tragen. Die Soldaten herrschen die Besatzung an: „Hände zum Himmel, nicht bewegen“, und etwas freundlicher: „Wir haben ein paar Fragen.“ Parieren die Matrosen, sagt man: „Thank you, Sir.“ Aber man ahnt es schon: So wie diese Seemänner mit Sonnenbrillen und ganz in Schwarz gekleidet sind, kann etwas nicht stimmen. Mit dem Schiff nicht und auch nicht mit der Fracht. So steht es im Drehbuch des Seemanövers der „Proliferation Security Initiative“ (PSI, siehe Kasten).

Australische Zöllner, japanische und französische Marinesoldaten und die US-Küstenwache üben in der Bucht von Tokio, wie ein ausländisches Schiff gestoppt wird, das mutmaßlich Massenvernichtungswaffen geladen hat. Von welchem Land dieses Schiff ausgelaufen ist, legt das Übungsszenario der Japaner nicht fest. US-Unterstaatssekretär John Bolton, einer der Falken im US-Außenministerium und Architekt der PSI, sprach das Naheliegende zu Übungsbeginn aus: „Es gibt keinen Zweifel, dass Nordkorea einer der Hauptexporteure von Raketentechnologie ist. Aus Waffen- und Drogenverkäufen finanziert Pjöngjang sein Atomwaffenprogramm.“

Nach den japanischen Soldaten bestreiten die Männer vom australischen Zoll den nächsten Übungsdurchgang. Auch sie kommen per Gummiboot, haben aber mehr Gepäck. Einer schnallt Karabiner und Seil an und klettert den Frachtraum hinauf, wo er Deckplatten abrupft. Der zweite trägt ein Instrument mit dem Namen „Schlangenkopf“: ein Stab mit einem Kameraauge, mit dem in Rohre hineingeschaut werden kann. Der dritte arbeitet wie ein Zahnarzt mit einem runden Handspiegel und einer Taschenlampe. Der Höhepunkt kommt, als sie im Frachtraum drei Pakete öffnen. „Ist das Reis?“, fragt Teamleiter Steve Bennett, der sich in der Mitte aufgebaut hat und lässig Befehle in sein kleines Mikrofon haucht. Einer seiner Männer antwortet: „Ja, das ist Reis.“ Bei der letzen Kiste wieder: „Ist das Reis?“ – „Nein, das ist Giftgas.“ Bennett schreitet mit einem Messgerät auf das Paket zu und ordnet die Sperrung des Frachtraums an.

38 Militärs aus 19 PSI-Mitgliedstaaten beobachten das Schauspiel. Fröstelnd, fotografierend, mit Nescafé in der Hand und viel Gold auf der Uniform. Eine erste Zwischenbilanz: Das australische Team arbeitet entspannter als das japanische, die Franzosen mit Handzeichen, die Amerikaner mehr mit Worten.

Wie nah an der Realität ist das Manöver „Team Samurai“? Der Beobachter aus Spanien müsste es wissen. Dort wurde der Ernstfall bereits angewendet, bevor es die PSI überhaupt gab. Die spanische Kriegsmarine stürmte 2002 im Arabischen Meer einen nordkoreanischen Frachter mit Zielhafen Jemen. Im Unterschied zur Übungsanlage in Japan habe damals die Besatzung Widerstand geleistet. Das Schiff mit 15 Scud-Raketen im Frachtraum wurde mit Waffengewalt gestoppt, erzählt der beleibte Spanier mit den breiten Goldpatten.

Das Abfangmanöver erfolgte auf einen Hinweis des US-Geheimdienstes. Zu völkerrechtlichen Bedenken gegenüber solchen Aktionen sagt der Marineoffizier aus Madrid: „Das Schiff fuhr ohne Flagge und missachtete damit internationale Konventionen.“ Deshalb sei man berechtigt gewesen, dessen Herkunft festzustellen. Den Frachter mussten die Spanier danach allerdings ziehen lassen. Die Jemeniten insistierten darauf, das Kriegsgerät rechtmäßig erworben zu haben.

Gewaltsam gestoppt wurde 2003 ein nordkoreanisches Schiff auch von Australien. Nicht wegen des Verdachts auf Massenvernichtungswaffen, sondern weil man Hinweise auf einen Drogentransport hatte, berichtet der australische Marineoffizier, der die Übung in der Bucht von Tokio beobachtet. Gefunden wurde an Bord der „Pong Su“ Heroin, die Besatzung nahm man gefangen. Dieses Drogenschiff sei ein klarer Fall gewesen, sagt der Australier. „Heroin erkennen wir einfacher als eine Zentrifuge für ein Atomwaffenprogramm.“

Ein hagerer, bleicher Mann in Zivil stellt sich als Beobachter Moskaus vor. Ist es vorstellbar, dass Russland, ehemals enger Alliierter Pjöngjangs, ein nordkoreanisches Schiff stoppt und durchsucht? „Wir kontrollieren jedes verdächtige Schiff“, erwidert der Russe gereizt. Und wiederholt die Sprachregelung der Gastgeber: „Das Manöver richtet sich nicht gegen Nordkorea.“

Aus Asien sind nur Vertreter aus Singapur, den Philippinen und Kambodscha zur Beobachtung auf die „Shirayuki“ gekommen. Nordkoreas Nachbarn China und Südkorea lehnten eine Einladung ab, vermutlich um Pjöngjang nicht weiter zu verärgern. Auch Japan gab sich alle Mühe, dem Manöver jeglichen martialischen Anstrich zu nehmen. Die ausländischen Einheiten wurden gebeten, ohne Waffen anzutreten.