Von Hackern lernen

Sony und BMG gründen ein eigenes Tauschnetz für Musik, der Autor des „Sasser“-Virus wechselt auf die Gegenseite

Mein französischer Freund nordindischer Ragas hat sich bisher nicht gemeldet. Darum weiß ich ich immer noch nicht, wie die wundervollen Stücke heißen, die ich bei ihm unter den Namen „Piste-01“ bis „Piste-07“ heruntergeladen habe. Mit BMG-Sony wäre das nicht passiert. Die fusionierten Musikabteilungen von Bertelsmann und Sony wollen selbst ein Peer-to-Peer Tauschnetz aufbauen. Die Idee dazu soll der Chef Andrew Lack höchstselbst gehabt haben, was nichts weiter als dreiste Angeberei ist. Das Peer-to-Peer-Prinzip ist so alt wie das Internet selbst, und auf die einzig vernünftige Geschäftsidee, den Kunden gegen eine kleine Gebühr dabei zu helfen, ihre Musikstücke auszutauschen, statt sie dafür zu bestrafen, kam der gefeuerte Bertelsmann-Chef Middelhoff schon vor Jahren. Wenn Andrew Lack sich jetzt daran erinnert, soll es mir recht sein. Ich wäre durchaus bereit, ein paar Euro für eine wirklich sorgfältige, inhaltsreiche, musikwissenschaftlich fundierte Dokumentation der Aufnahmen dieser überragenden indischen Sängerin zu bezahlen.

Nur um die Kopie der Musikdaten selbst braucht sich Andrew Lack meinetwegen nicht zu kümmern. Ich habe sie sowieso schon auf der Festplatte. Falls er, wie verlautet, vorhat, sie mit einem Kopierschutz anzureichern, sollte er sich dieses Geld wirklich sparen. Die Progrämmchen, die so was aushebeln, werden am nächsten Tag im Netz verfügbar sein, und selbst mein französischer Freund, der beim Komprimieren seiner Musik leider vergessen hat, die einzelnen Titel einzutippen, wird damit spielend fertig. Ein Hacker muss er deswegen nicht werden, Hacker von heute sind durchaus in der Lage, eine leicht verständliche Benutzeroberfläche für Laien zu schreiben.

Hacker sind ja nicht blöd, und in jedem anderen Land hätten sich sämtliche Softwarefirmen darum geprügelt, den Jungen einstellen zu dürfen, der letztes Jahr die Viren „Sasser“ und „Netsky“ in Umlauf gebracht hat. In Deutschland nicht, und genau deswegen geht es hier wirtschaftlich nicht so recht voran. Schuld daran sind Manager wie Tjark Auerbach, Geschäftsführer der H+BDEV Datentechnik GmbH in Tettnang am Bodensee, dem Marktführer für professionelle Antiviren-Software in Deutschland und Betreiber der Website www.anitivir.de. Er hat letzte Woche den Kooperationsvertrag mit der Lüneburger Firma „SecurePoint“ gekündigt, weil die mit dem hochbegabten Computerfreak wenigstens einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hat.

Natürlich möchten die Lüneburger eigentlich nur selbst lernen, wie man einen wirklich guten Virenwurm schreibt, aber das interessiert einen wie Auerbach überhaupt nicht. Solange seine ahnungslosen Kunden brav für eine Software bezahlen, über die jeder Hacker nur lachen kann, ist alles in Ordnung in Tettnang. NIKLAUS HABLÜTZEL