Badezimmer zu Badezimmern

Die Deutsche Gesellschaft für Photographie lud nach Braunschweig. Dort diskutierten erstmals Vertreter von Archiven und Museen mit WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen „Die Zukunft der Fotografie(n)“ im Zeitalter der Digitalisierung

Von Kerstin Frtizsche

In vielen Haushalten durften noch vor zehn Jahren samstags keine Familienbadezimmer betreten werden. Dort hatte das, meistens männliche, Familienoberhaupt eine Dunkelkammer eingerichtet und hantierte mit Chemikalien, die für Kinderhände tabu waren. Diese „helle Kammer“, wie sie der französische Philosoph Roland Barthes 1980 in seiner gleichnamigen Soziologie der Fotografie nannte, ist heute gleich doppelt passé.

Die digitale Fotografie sorgt dafür, dass Badezimmer wieder als solche benutzt werden können – und die Digitalkamera ist ihrer etymologischen Herkunft nach eigentlich gar keine „Kammer“ mehr, da sie keinen Hohlraum besitzt, in dem mittels Lichteinfall ein Bild erzeugt wird.

In der Kunsttheorie hat es dadurch etliche Verschiebungen gegeben. Mit der digitalen Fotografie kann jeder nicht nur Künstler und Sammler sein, sondern auch Archivar: Er erzeugt automatisch Archive mit der Speicherkapazität seiner Kamera oder Computer-Festplatte.

Das hat auch die Betrachtung über das Wesen der Fotografie verändert. Während im Privaten die digitalen Fotos noch den gleichen Ewigkeitsanspruch haben, besitzen sie diesen im Bereich der Medien und der Sammlungen nicht.

Ein Foto, das einen Text wie diesen hier illustriert, macht vielleicht neugierig auf den Artikel und unterstützt die Authentizität des Ereignisses hinter dem Bericht. Bereits morgen ist es aber schon wieder vergessen. Gerät es in eine Sammlung, so ist das Foto durch seine bloße Anwesenheit nicht von Bedeutung. Erst die Einordnung durch den Archivar mit Zusatzinformationen macht es zum Zeit-Dokument.

Solche kunstphilosophischen Fragen wurden auf der Braunschweiger Tagung am Rande thematisiert. Denn nachdem die Digitalisierung für die Kunst schon gar keine Revolution mehr darstellt, ist sie das für den Bereich der Archive und Museen allemal.

So hatte die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) bundesweit deren Vertreter eingeladen, um Fragen der Foto-Konservierung zu erläutern.

Da die digitale Fotografie die Chance böte, die ewige Konkurrenz zwischen Technikern und Sammlern aufzuheben, so Wolfgang Hesse, Vorsitzender der veranstaltenden Sektion „Geschichte und Archive“, sei es bei der Frage, wie in Zukunft die Bilder gesichert werden, auch wichtig, KünstlerInnen mit einzubeziehen. Nicht zuletzt, um dem Anliegen auch eine kulturpolitische Relevanz zu verleihen.

Rolf Sachsse, Professor für Design an der Hochschule für Bildende Künste Saarbrücken, stellte die Frage, wie es um die Funktion der Gedächtniskonstitution in der Digitalisierung stehe, die ja per se auf Reproduzierbarkeit angelegt sei. „Kann eine auf Pixel beruhende grafische Information, die sich als Bild ausgibt, überhaupt eine Benjamin’sche Aura haben?“

In einer Gesellschaft, in der es normal geworden sei, dass fast jeder eine Digitalkamera und einen PC mit Bildbearbeitungsprogramm besitze, werde nicht mehr gefragt, was eigentlich mit der Konstitution von Raum und Bewusstsein werde, bedauert Sachsse. „Zwar gibt es heute keine Grenze mehr zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, aber das Ende des Glaubenskampfes ist leider ökonomischer Natur.“ Dies zeige sich auf der Kölner Messe „Photokina“, wo fast nur noch Multimediakonzerne anwesend seien. Der Originalitätswert von Fotos lasse sich vor allem in Geld messen: „Fotografien sind der Sammelgegenstand der IT-Gesellschaft“, so Sachsse.

Damit ursprüngliche Kontextualisierungen nicht verloren gehen, seien Archive und Museen jetzt umso mehr in der Verantwortung, den Ausspruch des Kunstphilosophen Boris Groys nicht wahr werden zu lassen: „Alle Kunst strebt ins Archiv“.

Sachsses Kollege Grant Romer vom George-Eastman-House in Rochester, New York, geht in diesem ganzen Zwang zur Um- und Neudefinierung sogar so weit, die digitale Fotografie gar nicht mehr originär als Fotografie gelten zu lassen: da das Vermächtnis der Fotografie Kontextualisierung sei, das der Digitalisierung aber vielmehr Dekontextualisierung, weil der Chip den Karteikasten ersetzt und der Drucker die Dunkelkammer.

Für die anwesenden Fachleute, die täglich unterscheiden müssen, ob ein Foto ein Objekt, ein Dokument, Kunst oder grafische Information ist, dürfte die dringlichste Frage der Tagung wohl kaum beantwortet worden sein: Wer bezahlt eigentlich die bevorstehende Digitalisierung der Archive? Es sieht danach aus, als würde hier vor allem dem Steuerzahler die kulturpolitische Relevanz verliehen.