Mitschuld in Mainz

Sind die Politmagazine von ARD und ZDF gefährdet? Darüber diskutierten nun die Macher – so episch, dass die Diskussion selbst eine Antwort war

AUS MAINZ CHRISTOPH SCHULTHEIS

Man stelle sich vor: eine Art Stammtisch, am besten beim Italiener. Man stelle sich vor, es träfen sich dort die Macher von Deutschlands öffentlich-rechtlichen Politmagazinen. Und man stelle sich vor, sie wären alle gekommen: der Andreas Bönte von „Report München“, der Stephan Wels von „Panorama“, der Wolfgang Fandrich von „Fakt“, die Birgitta Weber von „Report Mainz“, und weil die Sonja Mikich von „Monitor“ und die Petra Lidschreiber von „Kontraste“ kränkelten, wären eben „Monitor“-Mann Mathias Werth und „Kontraste“-Chef Reinhard Borgmann mit dabei. Sogar der Thomas Fuhrmann von „Frontal 21“ und der Cassian von Salomon von „Spiegel TV“ hätten vorbeigeschaut bei dieser Stammtischrunde.

Da säßen sie dann, sieben Männer und eine Frau. Man kennt sich, und einer würde sagen: Mensch, so saßen wir ja noch nie zusammen! Und die anderen würden zustimmend nicken und sich erst mal über ihre Einschaltquoten austauschen, die bei den ARD-Kollegen so bei 3 Millionen liegen, Marktanteil rund 11 Prozent, na ja.

Irgendwer, vielleicht die Birgitta, würde dann an die guten alten Zeiten erinnern, als „Report München“ mit Franz Alt noch 17 Millionen Zuschauer hatte. Und dann würden alle lachen, weil „Fakt“ mit einem Altersdurchschnitt von 59 Jahren tatsächlich die jüngsten Zuschauer hat. Vielleicht würde der Bönte von „Report München“ noch einen draufsetzen: „Mit einem Beitrag über Gift in Kukident-Tabletten“, würde er sagen, „hätten wir doch prompt einen Marktanteil von 20 Prozent!“ Und man würde sich darüber austauschen, wie sie letztens wieder wegen zweitklassiger Uefa-Pokalspiele aus dem Programm gekickt wurden.

Womöglich würde die Stammtischrunde dann mal kurz grundsätzlich, weil irgendwer mitbekommen hatte, dass die Politmagazine nicht mehr so angesehen sind wie früher, dass ihnen ein Bedeutungsverlust attestiert und ihnen vorgeworfen wird, sie seien längst „thematische Gemischtwarenläden“, die immer dieselben Experten zu Wort kommen ließen, während echte Enthüllungen ausblieben.

Okay, dass die Beiträge inzwischen weniger „aggressiv“ seien, würde die Runde gern eingestehen – aber da war doch noch was: „Verlässlichkeit!“, würde jemand sagen, „Haltung!“, jemand anderes, über den Begriff „Meinung“ würden sie streiten und das Wort „Weltanschauung“ einstimmig ablehnen. Einig wäre man sich auch, dass die Zeit der „Richtungsmagazine“ zum Glück vorbei sei, dass man jetzt „unberechenbarer“ und „politisch nicht einzuordnen“ sei.

Vielleicht würde jetzt auch irgendwer „eine gewisse Einflussnahme“ durch die Rundfunkräte eingestehen, doch spätestens dann würde das Thema gewechselt und lieber gejammert werden, über den „unwirtlichen Beruf“ des investigativen Journalisten. Oder über diese Volontäre, die nicht mal wüssten, „was der 17. Juni ist“.

Noch schlimmer seien da nur die Politiker, die einem offen ins Gesicht sagten, sie gingen lieber in eine politische Talkshow, als sich für ein Politmagazin befragen zu lassen, und die ihnen, den Politmagazin-Machern, sogar eine Mitschuld an der grassierenden Politikverdrossenheit unterstellen.

Und wo man schon mal dabei wäre, würde dann die Entscheidung, ab nächstem Jahr nicht mehr um 20.15 Uhr ausgestrahlt zu werden, als „Beschädigung der Institution“ gegeißelt. Doch wenn der Kollege vom ZDF den dafür zuständigen ARD-Programmdirektor Günter Struve tatsächlich beim Namen nennen würde, wäre das Gespräch ganz plötzlich vorbei.

Und jetzt stelle man sich vor, all das wäre gar nicht in gemütlicher Runde bei Frascati und Grappa passiert, sondern in aller Öffentlichkeit – genauer gesagt: im Foyer des SWR in Mainz, am Vorabend des diesjährigen „Mainzer Mediendisputs“, vor 150 Gästen, von denen viele im Laufe der zweieinhalbstündigen Podiumsdiskussion eine sich bietende Gelegenheit nutzten, die Veranstaltung vorzeitig zu verlassen. Zum Italiener gingen die Diskutanten erst im Anschluss.