Sex sells, values sell

Möge der Populärere gewinnen! Mit dem Votum für George W. Bush zeichnet sich eine immer stärkere Hinwendung zum Populismus ab. Im Zeitalter der Vermittlung sind Wahlen nurmehr ein massenhaftes Buhlen ums erfolgreiche Image, während die politischen Entscheidungen längst gefallen sind

VON NIELS WERBER

Warum ist George Walker Bush wiedergewählt worden? Die Bilanz seiner ersten Amtszeit ist in jedem Politikfeld verheerend. Die Mehrheit der Amerikaner wird kaum behaupten können, es gehe ihnen nach vier Jahren Bush finanziell besser, sie seien besser abgesichert gegen die Risiken von Krankheiten, Arbeitslosigkeit oder des Alterns, ihre Kinder erhielten eine bessere Schulbildung, die Umwelt sei sauberer, die Energieversorgung zuverlässiger, die private und öffentliche Verschuldung sei abgebaut worden oder das Homeland sei nach der Einrichtung neuer Behörden und dem Streichen bürgerlicher Freiheiten sicherer. Die Mehrheit wollte dennoch four more years, aber wieso?

Nach allen Vorstellungen des rational choice, des abwägenden Optierens für den eigenen Vorteil, hätten die Amerikaner Kerry wählen müssen. Kam Bush einfach besser „rüber“, nicht so „hölzern“ wie Kerry, irgendwie überzeugter von seiner Mission und deshalb auch überzeugender in der Wirkung auf den Zuschauer-Wähler?

Wenn Richard Rorty die Bush-Administration eine „faschistoide Junta“ nennen darf, dann ist es nicht unangemessen, den Ausgang der US-Wahl mit dem Sieg der PDS, der Republikaner und der NPD in Sachsen und Brandenburg zu vergleichen. Nicht, dass Bush ein Extremist wäre, das ist er bei allem Sendungsbewusstsein sicher nicht; aber er ist populär und vermittelt seine politische Agenda erfolgreich mit populistischen Mitteln. Dies hat er mit dem Wahlkampf im deutschen Osten gemeinsam. Slogans wie „Schnauze voll“ oder „Hartz: Armut per Gesetz“ haben etwa das gleiche Verhältnis zur Komplexität der Arbeitsmarktreform wie Bushs „we gonna smoke them out“ zur Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten.

Der Erfolg scheint diese Mittel zu rechtfertigen. Das Schema macht Karriere, denn unmittelbar nach dem Entsetzen über die guten Ergebnisse extremistischer Parteien verkünden „verunsicherte“ Politiker, man müsse nun aber schleunigst „populärer werden“ (BZ vom 21. 9. 04). Politik zum Anfassen hätte man machen sollen, bessere Sprüche hätte man für die eigenen Plakate gebraucht. Von besserer Expertise, besseren Programmen, besseren Argumenten ist erst gar nicht die Rede. Die Politik muss eben „populär“ werden, „volkstümlich, allgemein bekannt, beliebt; gemeinverständlich“. Genau dies macht aber definitionsgemäß den Populismus aus, den die ehemaligen Volksparteien den Volkstribunen permanent vorhalten. Man selber will ja nur populär sein. Populismus ist immer nur das Populäre des politischen Gegners.

Ob populistisch oder populär: Beide Begriffe setzen eine Differenz von Elite und Volk, ehernem Sachverstand und wankelmütiger Stimmung voraus. Aus dieser Perspektive populärer oder populistischer Politik gesehen, ist das Volk im Kern unmündig, es lässt sich von „Dramatisierungen“ beeindrucken und folgt lieber dem Populisten, der seine Stimmungen bedient, als dem wahren Politiker, der durch den Nebel der Meinungen hindurch auf die Fakten blickt, um dann sachlich zu entscheiden. Da dieser wahrhafte Sachpolitiker aber das Wahlvolk nicht erreicht, muss auch er auf Slogans und Reklame zurückgreifen, nur dass er seine eigenen Verfahren der Propaganda selbstverständlich populär nennt, während der politische Gegner als Populist gebrandmarkt wird.

Das Verhältnis des Populisten wie des populären Politikers zum Volk wird in beiden Fällen ganz genauso beschrieben wie seit Adorno und Horkheimer das Verhältnis der Popkultur oder „Kulturindustrie“ zum Konsumenten. Mit kurzfristigen Reizen, Show-Effekten und Opportunismen werden Stimmungen aufgegriffen und bedient. Der Auftritt Schwarzeneggers auf der Republican Convention wurde gar nicht erst in irgendeinen Zusammenhang mit einer politischen Agenda gebracht, sondern allein in Kategorien des Populären (Einschaltquote, Prominenz, Aufmerksamkeit, Charisma) verhandelt. Ja, wenn der Gouvernator sagt, Bush werde mit den Terroristen schon fertig werden, dann würden ihn die Amerikaner schon wählen.

Da konnte Kerry, der von seiner Klientel offenbar nicht besser denkt, sich nur noch seine ausgerechnet in Vietnam verdienten Orden an die Brust heften, auf seiner Convention „I report for duty“ brüllen und salutieren. Auch die liberale Ostküstenpresse scheint davon auszugehen, dass man genauso Wahlen gewinnen könne und die Wähler genau so seien, wie die Verfahren des Populistischen oder Populären sie auffassen: als Pawlow’sche Hunde, die auf entsprechend einkonditionierte Signale mit Kauf- oder Wahlentscheidungen reagieren.

In der Konsumgüterwerbung könnte man solche Signale in den Markennamen, in Starauftritten oder Sex ausmachen; im Politischen kann man sie Werte nennen. Im amerikanischen Wahlkampf waren das Familie, Nation, Ehre, Stolz. Diese Werte haben den doppelten Vorteil, dass man kontrafaktisch an ihnen festhalten kann – wer würde aufhören, für den Frieden zu sein, nur weil es ihn nicht gibt? –, und weil Werte derart diffuse „Gesichtspunkte des Vorziehens von Zuständen und Ereignissen“ bieten, dass aus ihnen keine konkreten Entscheidungen oder konkretes Handeln abgeleitet zu werden vermag. Aus den Werten, die man „in der Hand oder im Mund“ habe, so Niklas Luhmann, folge „nichts für die Richtigkeit des Handelns“. Das macht aber nichts, denn die Werte selbst stellen schon einen Wert dar, und es reicht, für Solidarität oder für family values zu sein, auch wenn daraus nichts zwingend folgt. Sex sells – das gilt für Haarfärbemittel wie Elektroprodukte. Values sell – das gilt für Politik im Zeitalter des Populismus.

Das skizzierte Syndrom ist selbst ungeheuer populär. Das Bild des Präsidenten als Cowboy und Sheriff, der mit rauchendem Colt in der Welt für Ordnung sorgen will, wird von deutschen Zeitungen genauso gerne genutzt wie vom Quotenbringer Michael Moore. Fatalerweise bestätigen damit auch seine Kritiker Bushs Image, mit dem er Wahlen gewinnen kann, und verbleiben zugleich selbst innerhalb des Populistischen. Es ist viel einfacher, Bush und Don Rumsfeld Stetson-Hüte aufzusetzen und den Afghanistan-Feldzug zu einer „Bonanza“-Folge oder die Regierung zu einer „Junta“ zu erklären, als sich ernsthaft mit dem argumentativen Gehalt der neokonservativen Agenda zu beschäftigen. Auf dieser von links so noch bestätigten Ebene ist Bush aber unschlagbar. Wie der New Yorker im letzten Monat feststellte, sei Bush ein Mann des gesprochenen Wortes, der einen suggestiven Sound erzeugt. Kerry dagegen schreibe Texte, auch wenn er redet. Bush sei der Redner, dessen Rhetorik die Massen bewege, während man Kerrys eloquente Ausführungen lesen müsse, um seine Argumente und Beobachtungen schätzen zu können.

Kerrys Versuche, den populistischen Diskurs zu verlassen, sind allesamt gescheitert. Seine Versuche, eine komplexere Analyse des Irak-Desasters zu vertreten, sind an der Souveränität eines Mannes abgeprallt, der entscheidet und handelt. Was er denn tun würde, wurde Kerry gefragt, und sich auf diese Frage überhaupt einzulassen, impliziert schon den Wechsel in den populistischen Diskurs. Bush kommt bei den Begründungen dessen, was er tut, ganz mit dem Verweis auf Werte aus. Das geht schneller, als Expertise einzuholen und Argumente zu entwickeln. Der wiedergewählte Präsident hat auf der Grundlage von Werten gehandelt, als er den Krieg gegen den Irak begann, deshalb war die Frage der Existenz oder Nichtexistenz von Massenvernichtungswaffen und das ganze Wissen der Blix-Kommission auch nur eine „kosmetische“, wie Wolfowitz einmal anmerkte.

Populismus lässt sich versuchsweise als Vermittlung bereits entschiedener Fragen definieren. Die Entscheidung ist bereits gefallen, von der Hartz-Reform über die Nullrunde bei VW bis zur Schließung von Karstadt-Filialen oder Bundeswehr-Standorten, sie muss nur noch vermittelt werden. Die Frage der Vermittlung setzt die Richtigkeit der Dezision voraus und blendet die Komplexität und Kontingenz der Entscheidungsfindung aus. Die öffentliche Sache wird gar nicht mehr ergebnisoffen diskutiert, sondern alles steht schon fest und wird dann mit oder ohne Erfolg „verkauft“. Ob dies glückt, hängt nicht mehr von politischen Argumenten ab, sondern vom richtigen Marketing. Bushs Campaign hatte einfach mehr „Momentum“.

Weil die Entscheidung immer schon gefallen ist – und dann nur noch vermittelt wird –, funktionieren in der Wahlforschung auch die rational-choice-Modelle nicht mehr. Das dazu passende Publikum fordert Vermittlung – statt sich selbst zu informieren. Dass jedes Bundesgesetz, jede Verwaltungsvorschrift publiziert wird, genügt in Zeiten der populären Politik nicht. Daher greifen Parteien lieber auf Werbeagenturen oder Personality-Berater zurück, um ihre Agenda ans Volk zu bringen, als auf den Sachverstand in den eigenen Reihen. Die undemokratische wie populistische Wendung der Politik zur Vermittlung bereits getroffener Entscheidungen erklärt auch die große Beliebtheit von Politik-Talk-Runden: Gerade hier geht es in den Zwei-Minuten-Statements vor laufender Kamera eher um die rhetorische Kunst, das „Was“ zu verkaufen, als um „Wie“-Fragen zu stellen, die die Sachdimension des Problems immer komplizierter werden lassen.

„Komplexität erzeugt immer Selektionsdruck und Kontingenzerfahrung“, stellte Luhmann 1984 fest. Der populäre Diskurs der Vermittlung nimmt uns beides ab. Man darf annehmen, dass dies die Lage selbst nicht einfacher macht.