Der „ferne Osten“

Berichterstattung Ost seit 1994 halbiert – Meckel und Eppelmann beklagen Interessenverlust – Medienführer West prägen heute das Ost-Bild

VON ANDRÉ SPANGENBERG

Der Osten verschwindet. Zuallererst aus den Medien. Langsam, lautlos, permanent: Allein im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Berichterstattung mit DDR-Bezug um die Hälfte verringert, wie eine am Montag in Berlin vorgelegte Medienstudie ausweist. Fast eine Million TV-Beiträge, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel sind vom Forschungsinstitut Medientenor ausgewertet worden. Fazit: Der der Osten ist „vom gemeinsamen Anliegen zur Randnotiz“ abgestürzt.

Ein Blick in das Haus der Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin scheint die Einschätzung zu bestätigen. Gähnend leer ist der große Saal, nur ein gutes Dutzend Journalisten wollen sich für das Thema erwärmen. Ein einziges Kamerateam ist gekommen.

Auf dem Podium machen sich die beiden ehemaligen DDR-Minister Markus Meckel (Außenpolitik) und Rainer Eppelmann (Abrüstung) Mut. Die deutsche Einheit müsse als „gesamtstaatliche Aufgabe begriffen werden“. Doch spricht Meckel zugleich von einer „politisch-öffentlichen Vergessenheit“.

Diese Warnung ist offenbar berechtigt. Schließlich wird über die deutsche Einheit in den vom „Medientenor“ ausgewerteten 36 Meinungsführermedien immer weniger berichtet. Nicht einmal mehr 1,5 Prozent der Beiträge befassen sich heute noch damit – hingegen kommt das oft als „unzureichend dargestellte“ Thema Europäische Union auf knapp 13 Prozent!

Für Eppelmann, der heute für die CDU im Bundestag sitzt, ist diese Quote der „Beginn einer Historisierung der DDR“. Einerseits zeige das Normalität, sagt er. Anderseits sei aber erschreckend, dass bei den wenigen Beiträgen, die noch die Öffentlichkeit erreichen, „nicht mehr die Opfer der Verbrechen, sondern ihre Täter in den Mittelpunkt rücken“.

Die Studie kann dem nicht widersprechen. „Insgesamt ist die Bewertung der DDR in den letzten Jahren in der Berichterstattung positiver geworden“, heißt es. Und mit zunehmendem Abstand verschiebe sich auch der Blickwinkel: Über staatliche Organe wie das MfS werde weniger gesprochen, über das Leben der Bürger in der DDR immer mehr. Sei die Darstellung bis 1998 noch in knapp jedem zweiten Medienbeitrag negativ, so habe diese Quote im „Ostalgie-Jahr“ 2003 bei nur etwa einem Drittel gelegen. Allerdings, so fügen die Autoren hinzu, von einer „Glorifizierung der DDR“ könne nirgendwo die Rede sein.

Auch beim Blick voraus – auf den Stand der deutschen Einheit – sind die Unterschiede in den Medien bemerkenswert. Während vor allem Polit-Magazine wie „Fakt“ oder „Report“ einen durchgehend negativen Blick werfen, ist die Bewertung in den TV-Nachrichten optimistischer eingestellt, lautet die Einschätzung. Im Print-Bereich sind es Spiegel, Zeit und taz, die eher skeptisch schauen. „Am positivsten zeichnen per Saldo Super Illu und Bild ein positives Bild“, sagt Wolfgang Stock vom Medientenor. Bei großen westdeutschen Printmedien falle das Saldo hingegen zumeist negativ aus. „Die Westmedien prägen das Ost-Bild“, resümiert Stock nüchtern.

Wie die Politik so gerät auch die Wirtschaft in den neuen Ländern zunehmend aus dem Blickfeld der Medien. „In den letzten fünf Jahren hat sich die Berichterstattung über die wirtschaftliche Lage Ostdeutschlands mehr als halbiert“, sagt Stock. Und fügt hinzu: Die geringe Resonanz erschöpfe sich zudem in „Anlass- oder Katastrophenberichterstattung“. Warum, so fragt Eppelmann, werde mehr über den gescheiterten Lausitz-Ring oder den untergegangenen Cargo-Lifter berichtet, aber „die heute modernste Erdölraffinerie der Welt“ in Schwedt nicht erwähnt. Ja, warum?