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: In Sachen Fleischvermehrung

Exschwimmerin KAREN KÖNIG über das planvolle und flächendeckende Dopingsystem im DDR-Sport

Wenn mich jemand mit „Herr König“ angesprochen hat, dann hat mich das immer am meisten getroffen. Ich bin eine Frau. Was hätte ich auch erklären sollen? Das geht dann doch zu weit. Der Begriff DDR-Sport ist mit vielen Mänteln behangen, doch seine schwerste Last ist noch immer das Doping. Das Unwort wird von einigen sofort damit assoziiert, von SED-Altgenossen hingegen tapfer negiert. Ich habe mich immer gefragt, ob die Bezeichnung „flächendeckendes Doping“ besonders gut zur niedergegangenen DDR passt, weil das Land so klein war. Oder weil so viele damit zu tun hatten?

60 Mark Ost bekam ich zum Kauf von Zusatzverpflegung als Kaderschwimmerin monatlich von meinem Verein, dem Berliner Turn- und Sportclub (TSC). Das Training war hart und wir brauchen, so hieß es, mehr Essen. Auf der Kinder- und Jugendsportschule (KJS), die ich ab 1979 mit elf Jahren besuchte, gab es eine Baracke, in der das Mittagessen ausgegeben wurde. Auf der einen Seite die Wenigesser, Turner und Wasserspringer, auf der anderen die Schwerathleten. Schwimmen gehörte neben Boxen und Gewichtheben dazu. So bekamen wir richtig viel Fleisch, Obst und kohlenhydrathaltige Nahrung. Ein Privileg.

„Fleischvermehrung“ war damit nicht beabsichtigt. Was der Heidelberger Dopingexperte Prof. Werner Franke mit „Tiermast“ vergleicht, bezieht sich einzig und allein auf Doping im Sport. Davon hatte ich nie gehört. Mit 15 Jahren wurde ich 1984 in die DDR-Nationalmannschaft aufgenommen und war mächtig stolz. Dass alle Schwimmerinnen tiefe Stimmen, bullige Oberkörper hatten und eher flachbrüstig waren, schien im Kampf um Höchstleistungen nur folgerichtig. Dass die ostdeutschen Schwimmerinnen auf internationalen Wettkämpfen seit Jahrzehnten meist gewannen, war beeindruckend, sorgte aber nicht weiter für Argwohn bei der sportliebenden DDR-Bevölkerung. Man wollte nicht fragen, was offenkundig war.

Außer den anordnenden Weisungsträgern kannte niemand den internen Sprachgebrauch. Das einheitliche Sichtungs-und Auswahlsystem (ESA) holte Kinder und Jugendliche von der Straße. Konnte man wissen, dass sich sogar Volkspolizisten an der Talentsuche beteiligten? Die Diener des Staates sprachen groß gewachsene Jugendliche auf der Straße an und fragten sie nach ihrer Bereitschaft, in einen Sportclub zu gehen. „So lernten wir die Mehrzahl der Kinder unseres Landes mit bestimmten körperlichen Merkmalen kennen“, schrieb Manfred Ewald, ehemaliger Präsident des NOK der DDR, stolz in seinem Buch „Ich war der Sport“.

Aus den Spartakiaden kamen die Talente in die Sportschulen. Erst wer Leistungstests vor den zukünftigen Trainern bestand, hatte nur noch eines zu beweisen: keine bestehenden Westkontakte, soll heißen: Westverwandte. Wahrheitsgemäß leisteten die Eltern ihre Unterschrift und verpflichteten sich gleichzeitig, über alles, was den Sport betraf, Stillschweigen zu wahren. Die Kinder waren angehalten, ihren Eltern keinerlei Trainingspläne weiterzugeben.

Dass ich mit Beginn der Sportschule Vitamintabletten bekam, wusste meine Mutter. Ich wusste es auch. Nur warum sie so wichtig waren und vor den Augen der Trainer geschluckt werden mussten, erkannte ich nicht. 1985, kurz vor der Ausreise zur EM nach Madrid, hörte ich von „Doping“ zum ersten Mal. Niemals sollten wir fremde Getränke annehmen und auch das Entfernen von der Gruppe war untersagt. Denn, so hieß es, der Westen warte nur darauf, uns Dopingmittel unterzumischen. Gespräche mit den bundesdeutschen Schwimmern waren natürlich ebenso verboten.

Das Exerzierfeld des Klassenkampfes war strategisch abgesteckt und „flächendeckend“ unter Kontrolle. Der Sport war mithin der einzige Bereich, in der die DDR ihr Credo vom viel beschworenen „Weltniveau“ erreichte und auch für den Westen begehrlich wurde. Adidas setzte 1984 als Sponsor und Einkleider der DDR-Olympiamannschaft schon früh auf die Verlässlichkeit des Erfolges. Doping ist keine Erfindung des Ostens. Aber das perfide, allumfassend eingesetzte Futterprogramm zur Fleischvermehrung schon.

KAREN KÖNIG war frühere Leistungsschwimmerin im TSC Berlin und ist Doping-Opfer