Sündenfall im Paradies

Fast vier Wochen lang durfte sich Nina Kraft als erste deutsche Siegerin des Ironman Hawaii feiern lassen. Nun wurde die 35-Jährige des Dopings überführt. Das bringt eine ganze Branche in Verruf

Faris Al-Sultan: „Ich gehe davon aus, dass alles getestet wird, was möglich ist“

VON FRANK KETTERER

Das Telefon klingelte am Dienstagabend und nur knapp zwei Stunden vor Mitternacht. Der Präsident der Deutschen Triathlon (DTU) persönlich meldete sich am anderen Ende der Strippe, und was Klaus Müller-Ott mitzuteilen hatte, bedeutete gleich für eine ganze Sportart eine Art „Super-GAU“: Nina Kraft durfte sich nicht länger als erste deutsche Siegerin beim Ironman Hawaii fühlen, sondern als entlarvte Betrügerin. Zwar hatte die Triathletin aus Braunschweig vor knapp einem Monat tatsächlich als Erste das weiße Zielband beim prestigeträchtigsten Triathlonwettbewerb der Welt durchtrennt, hernach aber kamen ihr die Dopingkontrolleure auf die Spur: Im Körper der 35-jährigen Profisportlerin fanden sich Hinweise auf das Blutdopingmittel Erythropoetin, kurz: Epo. Nach einer schlaflosen Nacht der Bedenkzeit fand Kraft anderntags wenigstens den Mut, den Tatbestand zu gestehen – und flüchtete sich nicht in die sonst üblich Ausreden und Verschwörungstheorien. Laut Presseerklärung hatte Kraft in Abstimmung mit ihrem Freund und Trainer Martin Malleier seit diesem Spätsommer Epo zu sich genommen, um dem Erfolgsdruck standhalten und den Ironman Hawaii nach bereits zweiten und dritten Plätzen in den Vorjahren endlich auf Big Island gewinnen zu können. Nun wird es statt dem auf Hawaii üblichen Siegerkranz eine Zweijahressperre für Kraft geben, die Karriere der 35-Jährigen dürfte damit zu Ende sein, die 100.000 Dollar Preisgeld ist sie ebenfalls los.

Durch ihr Geständnis hat Nina Kraft wenigstens die Faktenlage geklärt; dass deshalb keine Fragen offen bleiben, heißt das freilich noch lange nicht. So muss doch verwundern, dass Kraft ausgerechnet nach ihrem Sieg beim Ironman in Frankfurt, bei dem sie erstmals in ihrer Karriere unter der als Schallmauer geltenden Neun-Stunden-Marke geblieben war, eine Epo-Kur begonnen hat. „Sie war im Juli schon so gut, dass sie höchstwahrscheinlich auch so auf Hawaii gewonnen hätte“, vermutet nicht nur Profi-Kollege Jürgen Zäck, eine Ahnung, die durch die fast 20 Minuten Vorsprung, die Kraft dann im Oktober auf Hawaii vor der zweitplatzierten Schweizerin Natascha Badmann hatte, durchaus untermauert wird. Was wiederum die Frage aufwirft, ob Kraft nicht vielleicht doch schon etwas länger mit Epo im ausdauernden Körper unterwegs war. Dass die Braunschweigerin damit bis dato nicht erwischt wurde, schließt die Möglichkeit als solche zumindest nicht aus. Denn wie, durch den Sündenfall auf Hawaii ausgelöst, nun bekannt wurde, wurde bisher weder beim Ironman Frankfurt noch beim Quelle Challenge in Roth, den beiden großen Langstrecken-Events in Deutschland, auf Epo geprüft. Kraft, so wird aus ihrem Sponsorenumfeld kolportiert, soll dies zu der Ahnung verleitet haben, dass auch auf Hawaii nicht auf das Blutdopingmittel getestet wird. Ein folgenschwerer Irrtum, wie nicht nur sie mittlerweile weiß. Epo tauchte auf Big Island in diesem Oktober erstmals auf der Liste der zu prüfenden Substanzen auf.

Dass bei solch renommierten Langstreckenwettkämpfen gar nicht bzw. erstmals auf Epo getestet wird, trägt freilich schon an sich skandalöse Züge. Schließlich handelt es sich bei einem Ironman um 3,8 km Schwimmen, 180 km Rad fahren und 42,195 km Laufen – und somit um die drei Doping-Kernsportarten. Noch einen Tick skandalöser wird die Chose durch den Umstand, dass selbst die deutschen Ironman-Athleten der Weltklasse nicht zwingend dem Trainingskontrollsystem der Nationalen Dopingagentur Nada unterworfen sind. Iron-Wettbewerbe werden von der World Triathlon Corporation (WTC) ausgerichtet – und die stellt weitgehend ihre eigenen Regeln auf, auch was Dopingkontrollen anbelangt. Trainingstests sieht die WTC nicht zwingend vor, entsprechend groß sind die Lücken im Kontrollsystem, die sich den eisernen Männern und Frauen prinzipiell bieten. Da die DTU ihrerseits Mitglied der eher der olympischen Kurzstrecke verpflichteten International Triathlon Union (ITU) ist, eine Art Konkurrenzunternehmen der WTC, verfügt sie nur über wenig Zugriffsmöglichkeiten auf die Ironman-Athleten.

„Das ist ein Problem“, gibt DTU-Präsident Klaus Müller-Ott unumwunden zu, durch den Sündenfall von Nina Kraft aufgeschreckt, will er diesem nun schnell zu Leibe rücken. „Wir müssen auch die Langstreckenathleten, die nicht Mitglied in einem DTU-Kader sind, in unser Kontrollsystem aufnehmen“, fordert Müller-Ott, bisher war das für Ironman-Athleten nur auf freiwilliger Basis der Fall. So haben sich der diesjährige Hawaii-Dritte Faris Al-Sultan sowie Thomas Hellriegel, 1997 der erste deutsche Hawaii-Sieger, dem DTU-Kontrollsystem auch schon in der Vergangenheit unterworfen; Nina Kraft und auch Norman Stadler, diesen Oktober Hawaii-Sieger bei den Männern, hingegen taten es nicht. „Wir können sie nicht zwingen“, sagt Müller-Ott mit einem Anflug von Ohnmacht.

Ganz aus dem Schneider ist freilich auch der nationale Verband damit nicht. Sowohl in Frankfurt als auch in Roth legten die Veranstalter die Dopingkontrollen in die Hände der DTU, die somit auch über Art und Umfang entschied. Epo-Tests, umfangreicher und somit auch teurer, wurden beide Male nicht durchgeführt. Bei der DTU wiegelt man dies mit dem Hinweis ab, dass Epo-Tests im Triathlon bisher prinzipiell nicht „Usus“ gewesen seien, besser macht es das Versäumnis freilich nicht. Auch im deutschen Verband sollte sich herumgesprochen haben, dass Epo durchaus beliebt ist bei Ausdauersportlern. Und überhaupt: „Bei solch hochrangigen Veranstaltungen gehe ich doch davon aus, dass alles getestet wird, was möglich ist“, sagt der Münchner Faris Al-Sultan. Dass es selbst in Deutschland bei weitem nicht so ist, hat er am eigenen Leib erfahren müssen: In Roth wurde er diesen Juli Zweiter hinter dem Australier Chris McCormack und somit deutscher Langstreckenmeister. Kontrolliert wurde er nach diesem Titelgewinn gar nicht.