Feinde der Aufklärung

Deutsche Anwälte der Medienkonzerne verbieten einen Link zu einer Website, die ihnen nicht gefällt

Die Idee des Internets geht unter anderem auf die Enzyklopädie von Jean-Baptiste Le Rond, genannt D’Alembert, und Denis Diderot zurück, Mathematiker der eine, der andere Philosoph. Das Lexikon von 1751, mit dem die Aufklärung Europas begann, sollte das gegenwärtige Wissen der Menschheit allgemein zugänglich machen, und den beiden Herausgebern war von vornherein klar, dass es eben deswegen nicht nur eine Sammlung von gescheiten Artikeln sein durfte. Sie nannten ihr Werk „raisonnable“, also vernünftig, weil es Querverweise enthielt. Denn eine Information alleine ist noch kein Wissen. Wissen entsteht erst durch Links zwischen Informationen, und nur deswegen ist das World Wide Web eine bedeutende Erfindung.

Ein deutscher Nachfahre der beiden großen Franzosen heißt Agon S. Buchholz. Er arbeitet am Projekt „Wikipedia“ mit, der modernen, digitalen Neuausgabe der verlinkten Enzyklopädie, und betreibt außerdem das „Kefk“-Netzwerk (www.kefk.net), das diese Idee mit der noch älteren, nämlich altgriechischen Idee der Agora, des öffentlichen Forums für freie Reden verbindet. Kefk ist ein Experiment, sagt Buchholz, denn die behandelten Sachgebiete und die Zahl der Mitwirkenden sind noch sehr begrenzt. Zurzeit steht sogar nur ein einziges Thema oben auf der Tagesordnung: Buchholz hat Post von den modernen Feinden der Aufklärung erhalten, nämlich eine Abmahnung der Anwaltskanzlei Waldorf aus München, weil ein Mitglied des Kefk-Netzes in einem Debattenbeitrag einen Querverweis auf eine Website gesetzt hat, die über die Möglichkeiten informiert, den Kopierschutz von Musik- und Video-CDs zu umgehen. Im Auftrag der Firmen Bertelsmann, Sony, EMI, Universal, Edel und Warner berechnet die Kanzlei dafür ein Honorar von 3.980 Euro, das in jedem Fall bezahlt werden muss, selbst dann, wenn die Abmahnung nicht rechtskräftig sein sollte.

Buchholz ist nicht das einzige Opfer dieser Kanzlei, die sich sich seit langem darauf spezialisiert hat, Querverweise auf Informationen zu verbieten, die ihren Auftraggebern nicht passen. Und Buchholz ist kein Held. Er lässt seine Mitarbeit an der Wikipedia-Enzyklopädie vorerst ruhen, und hat eine wenn auch eingeschränkte Unterlassungserklärung abgegeben. Die Anwälte haben sie zwar abgelehnt, aber ihre Mandanten haben zugestimmt. Der Rechtsstreit ist entschieden, der Querverweis ist gestrichen, das mögliche Wissen behindert. Mag sein, dass D’Alembert und Diderot tapferer waren, wenn ihnen die Kirchenoberen gedroht haben. Aber die Zeiten sind härter geworden, und Buchholz kann sich auf Galileo Galilei berufen, der sein besseres Wissen auch widerrufen hat. Bertolt Brecht lässt ihn sagen: „Wehe dem Land, das Helden nötig hat.“

NIKLAUS HABLÜTZEL