Sie schaut auf diese Stadt

Catherine Deneuve hatte ein wohlwollendes Auge auf das 18. Internationale Filmfest in Braunschweig. Das führte zu einer Veranstaltung, die erstens durchweg gelungen war und zweitens offenbarte, was der Westen lernen kann von Koreas radikalen, grenzüberschreitenden Filmemachern

von WILFRIED HIPPEN

Zwei schöne Augen schauten einige Tage lang auf die Stadt: Von den Postern, von den Leinwänden, vom Titelblatt des Programmhefts, von den Fassaden der Abspielstätten. Catherine Deneuve schien so das Internationale Filmfest Braunschweig mit ihrem zärtlichen, aufmerksamen Blick zu segnen, und wenn es unter deutschen Filmfestivals einen Preis für das beste Logo geben würde, dann würde das kleine Braunschweig die Festivals in Berlin, Hof, München und Hamburg mit seinen jährlich wechselnden Augenpaaren um Längen schlagen.

Seit 1987 wird mit dem Filmfest Braunschweig solide und in der Außendarstellung eher bescheiden der Versuch unternommen, einerseits ein Publikumsfestival für die Region zu organisieren und andererseits mit Entdeckungen und Programmschwerpunkten auch Filmbegeisterte von Außerhalb nach Braunschweig zu holen. In der ersten Dekade hatte sich das Filmfest mit diesem Profil einen Namen gemacht, doch vor einigen Jahren stand es knapp vor dem Aus: Die Filmauswahl wurde immer beliebiger, viele Stammgäste blieben weg und die Förderungsgesellschaft Nordmedia drohte, den Geldhahn zuzudrehen.

Das änderte sich mit der Berufung von Volker Kufahl als Festivalsleiter. Dieser änderte nicht nur das Logo, sondern hatte auch sonst genaue Vorstellungen davon, was im begrenzten Rahmen solch eines Filmfestes geleistet werden kann. In diesem Jahr haben er und sein Team ein rundherum gelungenes Filmfest erarbeitet. Allerdings war eine Zentrierung auf zwei Kinos unausweichlich, da die meisten der schönen alten Braunschweiger Kinos inzwischen geschlossen wurden.

Dabei verströmt das Universum noch den typischen Charme eines schon ein wenig heruntergekommenen Programmkinos, während das Cinemaxx zwar ein Allerwelts-Multiplex sein mag, dafür aber mit seinen kurzen Wegen sehr praktisch ist. Die orchestralen Vorführungen der Stummfilme „Die Passion der Jeanne d‘Arc“ und Charlie Chaplins „City Lights“ fanden in der St. Paulikirche und dem Staatstheater statt und bildeten die Höhepunkte der Programmschiene Music & Film.

Am meisten Mühe hatte Volker Kufahl nach eigener Aussage damit, das Programm „Aktuelles Koreanisches Kino“ zusammenzustellen. In Seoul hatte man offensichtlich noch nichts vom Braunschweiger Filmfest gehört, und so taten sich trotz mündlicher Zusagen einige dortige Produktionsfirmen schwer damit, ihre Kopien zu verschicken. So mussten einige Filme auf DVD gezeigt werden – die einzige Chance, etwa den makaberen Polizeithriller „Memories Of Murder“ oder die Science-Fiction-Groteske „Save The Green Planet“ in Deutschland zu sehen zu bekommen.

Die Filmindustrie von Südkorea ist zur Zeit die fruchtbarste und spannendste der Welt, und mit der siebenteiligen Programmschiene gelang es in Braunschweig, zumindest einen Eindruck von der immensen Bandbreite und Intensität der dortigen Kinoproduktion zu vermitteln: Neben den in Venedig, Cannes und Berlin ausgezeichneten Filmkunstwerken wurde auch der Actionfilm „Silmido“ gezeigt – in Korea ein sehr erfolgreicher Kassenschlager.

So unterschiedlich die Filme auch sein mögen, sie sind alle auf ihre Art grenzüberschreitend und radikal. Kein westlicher Regisseur würde sich etwa trauen, so ungeschönt und verstörend die Liebesgeschichte zwischen einem geistig behinderten Mann und einer körperlich behinderten Frau zu zeigen, wie dies Lee Chang-dong in „Oasis“ tut; oder in einem kommerziellen Film äußerste Brutalität so mit Sentimentalität zu mischen, wie Kong Woo-suk in „Silmido“.

18.000 BesucherInnen sahen zwischen dem 9. und 14. November etwa 150 Filme, und dabei war es oft erhellend, welche Filme die Kinos füllten. Während etwa bei dem neuen Woody Allen Film „Melinda and Melinda“ viele Plätze frei blieben, war die Vorstellung des armenischen Spielfilms „Wodka Lemon“ ausverkauft und bei der kleinen, schrägen Komödie „Fräulein Phyllis“ aus Österreich mussten viele Zuschauer auf den Treppen sitzen.

Ähnlich komisch: „Verflixt Verliebt“ des Schweizer Filmemachers Peter Luisi, der im Stil einer gefälschten Dokumentation von dem kleinen Studenten Miro erzählt, der mit einem bedeutenden Filmregisseur verwechselt wird und beschließt, einen Spielfilm zu drehen: Er glaubt, die geliebte Schauspielerin dadurch zu erobern, dass er ihr die Hauptrolle anbietet. Im Wettbewerb gewann dieser sympathisch unordentliche, mit Ideen vollgestopfte Film den Publikumspreis „Heinrich“.

Auf anderen Festivals gehen die Komödien gegen die hohe Filmkunst ja fast immer leer aus, doch Catherine Deneuve schaute auch auf diese Entscheidung mit Wohlwollen herunter.