Uncle Tom‘s Rice

Die zukünftige Außenministerin der USA ist eine schwarze Frau. Doch für Condoleezza Rice ist weder Hautfarbe noch Geschlecht eine Kategorie

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Condoleezza Rice ist ein Falke im Taubenkostüm. Anmutig und elegant verkauft die von der Nationalen Sicherheitsberaterin zur Außenministerin geadelte Frau Präsident Bushs ambitionierte Machtpolitik. Mit entwaffnendem Charme erklärt sie, dass Präventivkriege gerechtfertigt sind.

Rice gilt als Architektin von Bushs Außenpolitik. Niemand im Weißen Haus hat ein so enges und persönliches Verhältnis zum Präsidenten wie die 50-Jährige. „Sie bemuttert mich“, verriet er dem Washington Post-Reporter Bob Woodward. Bush, der intellektuelles Gerede verabscheut, lässt sich von ihr komplexe internationale Zusammenhänge erklären und hört auf ihren Rat. Sie hingegen mag Bushs ungehobelte Art. Nur wenige Meter trennen ihre Büros im Oval Office voneinander.

Bushs Entschluss, Rice zur ersten schwarzen Chefdiplomatin zu berufen, wird Geschichte schreiben und ihren Ruf als Wunderkind Amerikas weiter zementieren: Erstes Klavierkonzert mit vier Jahren, Studienabschluss mit 19, Professur mit 26 und mit Anfang 30 Mitglied im Beraterteam von Bush Senior. Ihre Fans überschütten die „stählerne Magnolie“ mit Lob. Sie sei stolz, zugleich elegant, eifrig, durchsetzungsfähig und dennoch respektvoll.

Doch Rice passt in keine Schublade. Sie ist hoch intelligent, liebt Brahms und Football, bewundert Generäle, spricht Russisch und Französisch, redet nie über ihre Hautfarbe oder ihr Geschlecht. Für viele Menschen hat sie etwas Übernatürliches. Dabei ist sie durch irdische Tugenden zu dem geworden, was sie ist: Ehrgeiz und Fleiß.

Den Grundstein hierzu legten ihre Eltern. Beide hatten studiert, damals eine Ausnahme in den von rassischer Diskriminierung geprägten Südstaaten, wo Rice in Alabama aufwuchs. Vater und Mutter, die beide an der Universität arbeiteten, schärften ihr ein, besser als alle anderen sein zu müssen. Nur so könne sie die Rassenvorurteile der Weißen entkräften. So wurde sie auf Erfolg trainiert, nicht auf Rassenstigma und Frauenrollen. Schwarze Aktivisten der aufkeimenden Bürgerrechtsbewegung – der ihre Eltern skeptisch gegenüberstanden – verspotteten solche angepassten Afroamerikaner als „Uncle Tom“ – nach einer schwarzen Romanfigur, die alles tut, um den weißen Herren zu gefallen.

Zu Hause wurde Rice jedoch auch der christliche Grundsatz eingeimpft, dass alle Menschen gleich sind, und nicht aufgrund ihrer Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden dürften. Diese Haltung machte sie später an der Elite-Universität Stanford in Kalifornien zur Politik und entschied Zulassungen nicht nach Hautfarbe oder Geschlecht, sondern allein aufgrund persönlicher Leistungen.

Rice ist ein Arbeitstier. Familie und Partnerschaft gibt es nicht. Sie ist mit dem Beruf verheiratet. Ihre Härte gegen sich selbst, die manche damit erklären, dass sie sich sowohl als Afroamerikanerin und Frau emanzipieren musste, findet sich in ihrer politischen Philosophie wieder. „Alles was zählt, ist Macht“, sagt sie mit Blick auf die Außenpolitik. „Weiche“ Themen wie Umweltschutz und Menschenrechte sind dabei zweitrangig. Das ausgerechnet diese zarte Gestalt solche Hardliner-Linie verkörpert, macht Rice für viele so faszinierend.

Um ihr Frau-Sein macht Rice kein Aufsehen. Sie verkörpert ein Amerika, indem Frauen mittlerweile selbstverständlich hochrangige Positionen in Wirtschaft und Politik ausüben, weil sie einfach einen hervorragenden Job machen. Den alten Bush überzeugte Ende der 80er-Jahre vor allem ihre Expertise über Osteuropa. Für ihn war sie im Nationalen Sicherheitsrat in der Endphase des Kalten Krieges für osteuropäische und sowjetische Angelegenheiten zuständig. Sie bereitete dabei unter anderem sein Gipfeltreffen mit Michail Gorbatschow vor. Auch an den „Zwei-plus-vier-Gesprächen“ vor der Wiedervereinigung Deutschlands war sie federführend beteiligt.

Als Bush Juniors Sicherheitsberaterin koordinierte sie das Zusammenspiel von Pentagon, Außenministerium und Geheimdienst. In dieser Zeit durchlebte sie eine persönliche Metamorphose. Angetreten als nüchterne Realpolitikerin, die ausschließlich Amerikas Sicherheitsinteressen vertreten wollte, war sie lange überzeugt, dass es nicht Aufgabe der US-Außenpolitik sei, sich am „Nation-Building“ zu beteiligen. Getreu ihrer eigenen Lebensmaxime müssten Nationen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Doch seit „9/11“ führt sie wie ihr Dienstherr moralische Verpflichtungen ins Feld. „Die Welt soll nicht nur sicherer, sondern auch besser werden“, fordert sie. Nun gilt es, Länder von Tyrannen zu befreien und Demokratie zu exportieren.

Für Bush ist sie der perfekte Team-Player: absolut loyal und diskret. Nie offenbart sie Privates. Auch über ihre zukünftigen Ambitionen schweigt sie. Auf ihrer Erfolgsleiter fehlt nur noch der Sprung zur Präsidentin. Viele halten Rice jedoch für dieses Amt zu kontrolliert, klug und unnahbar – Eigenschaften, die sie mit Hillary Clinton teilt. So manche träumen daher schon vom „Showdown 2008“: Hillary gegen Condi.