Die Weichen sind verstellt

Der Modellbahnbauer „Märklin“ steckt in einer tiefen Krise. Seine handgefertigten Loks finden auf dem gobalen Markt keinen Platz mehr. Denn auch die pittoreske Idylle verkauft sich lieber billig

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Es brennt in der Modellbahnwelt. Es lodert lichterloh. Und nirgendwo ein Miniaturlöschfahrzeug in Sicht, das sich mit perfekt simuliertem Tatü-Tata den Flammen zur Wehr setzt. Die maßstabsgetreue Sirene auf dem Dach der Fachwerkfeuerwache hat noch nicht Alarm geschlagen.

Aber es brennt ja auch nicht im Maßstab 1:87. Diesmal ist das Feuer nicht miniaturisiert – sondern von metaphorischer Gestalt. Die Modellbahnbranche, einst prosperierender Appendix einer konsumfreudigen Wohlstandsgesellschaft, ist mitten hinein in ihre tiefste Krise gedampft. Eine Krise, die auch daher rührt, dass die wirkliche Welt nicht mehr viel mit den pittoresken Modellbahnidyllen gemeinsam hat.

Mit Volldampf in die Krise

Denn die Miniaturwelten mit ihren Alpendörfern und Schwarzwaldtannen verweigern sich buchstäblich spielerisch jener Globalisierung, der die Produzenten, insbesondere das Traditionsunternehmen Märklin, nun in die Augen blicken müssen. Und sie sind nicht die ersten. Die Firma Carrera, ein fränkischer Produzent hochwertiger Autorennbahnen, hat längst einen Großteil seiner Produktion nach China verlagert.

So weit will man im schwäbischen Göppingen, dem Stammsitz der traditionsreichen Marke Märklin, noch nicht gehen. Für eine Region allerdings, die neben der Modelleisenbahn auch gleich das zugehörige Landschaftsverständnis produziert, wiegt die Ankündigung genauso schwer, mehr als ein Drittel der 1.100 Arbeitsplätze ins thüringische Zweigwerk zu verlagern. Oder gleich nach Ungarn. Dort wären die aus edlem Zink und mehr als 300 Einzelteilen bestehenden Lokomotiven zu knapp einem Sechstel der württembergischen Personalkosten herzustellen.

Die Produktionsbedingungen in jener heilen Welt, als die sich das „Ländle“ immer wieder selbst stilisiert, haben nun mal ihren Preis. Nur sind selbst Modelleisenbahner, die ja gerade in jenem Idyll ihre Sehnsüchte finden, immer seltener bereit, diesen Preis zu zahlen.

Idylle lieb und teuer

Denn zwischen exklusiven Sammlern und geizgeilen Smart-Shoppern geht der Branche, wie auch der Gesellschaft, der Mittelstand verloren. „Hochwertige Markenprodukte verkaufen wir fast nur noch an Sammler und Hobbyisten“, erzählt etwa ein Fachhändler aus Berlin-Charlottenburg. Unterm Weihnachtsbaum hingegen liegen allenfalls noch die Preisbrecher der großen Spielwaren-Discounter. Und diese drücken Märklin und Co. inzwischen fast zum Selbstkostenpreis in den Handel. In der wagen Hoffnung, mit einer subventionierten Startpackung einen neuen Modelleisenbahner zu gewinnen.

Um die alten Modellbahner bei der Stange zu halten, liefern sich die Firmen auf der anderen Seite einen erbitterten Konkurrenzkampf. Längst hat der verloren, der nicht bereits vor der Inbetriebnahme einer neuen Lokomotive oder eines Personenwaggons durch eine europäische Bahngesellschaft das passende Modell vorgestellt hat. Auf immer mehr Neuerscheinungen folgen immer kürzere Produktzyklen, die es immer schwieriger machen, die investierten Entwicklungskosten einzuspielen.

Klassiker Fliegenpilzkiosk

Und was den Produzenten der elektrischen Bahnen unlieb ist, wird auch für die Zubehörindustrie zunehmend teuer. Weit über hunderttausend Stück hat etwa die Firma Faller von manchem Klassiker verkauft. Einem Fliegenpilzkiosk im Maßstab 1:87 etwa, der ein verändertes gesellschaftliches Freizeitverhalten bereits in den späten Fünfzigerjahren auf die Modellbahnanlage projizierte und seitdem fast unverändert im Programm geblieben ist.

Präsentiert der Modellhausbauer aus dem Hochschwarzwald heute eine Produktneuheit – den gläsernen Verkaufsturm für den Kleinstwagen Smart etwa –, werden vielleicht noch 5.000 dieser Plastikbausätze verkauft. Derweil sich das halbe Land hat tätowieren lassen, werden die Modelleisenbahner sukzessive zu einer Subkultur.

Bloß nichts Destruktives

Einer Subkultur allerdings, die sich wohl auch weiterhin nicht an der rauer gewordenen Realität reiben wird. Forderte Roland Gaugele, Pressesprecher der Firma Märklin, doch noch vor Jahresfrist im taz-Gespräch, dass sich seine Branche auch weiterhin „der schönen Bahn“ widmen und „destruktive Themen lieber in der Wirklichkeit belassen“ sollte.

Das Göppinger Arbeitsamt etwa wird also auch weiterhin im Modellbahnmikrokosmos fehlen. Einen Aldi-Markt hat die Firma Faller immerhin im Programm. Dort gab es gerade erst eine komplette Modellbahnanlage. Für 59 Euro. Beim Märklin-Händler kann eine einzelne Lokomotive schon mal das Zehnfache kosten.