Der nötige Schweißausbruch bleibt aus

Endlich wieder eine Band, die angenehm stumpf und laut ist, dazu harmoniebesessen und melodieverliebt: Doch The Kings Of Leon spielten in Berlin etwas zu artig und akkurat

Die Vorfreude ist riesig. Endlich mal wieder ein Konzert, auf dem man den Novemberschnupfen ausschwitzen kann. Endlich mal wieder eine Band, die so angenehm stumpf und laut ist und gleichzeitig harmoniebesessen und melodieverliebt, dass sie live die reinsten Glücksschübe verspricht. Und dann die Begeisterung, als die Kings Of Leon wirklich endlich die Bühne des Huxleys in Berlin entern: Wie hübsch sie sind! Wer so gut aussieht, wird sofort belohnt. Er muss nur kurz in die Saiten greifen, braucht nur einen einzigen Schrei ins Mikrofon zu tun – und schon schnappt das Publikum über. Die Kings Of Leon haben noch keine drei Takte gespielt und die Halle hüpft.

Es ist ein dichtes, konzentriertes und intensives Konzert, das die drei Söhne eines Wanderpredigers und ihr Cousin aus Nashville liefern: Alle gewünschten Assoziationen an Straßenstaub, Heuschober, Rodeo, gotteslästerlichen Inzest, Frauenhass und Vergewaltigungsfantasien werden ordnungsgemäß abgerufen. Alles, was den gewissenhaften Musikjournalismus dazu anregte, die Kings Of Leon als Southern Strokes und rechtmäßige Erben von Creedence Clearwater Revival abzuheften, ist an diesem soliden Abend inbegriffen: Die bestrickend geradlinigen Songs der ersten Platte vor einem guten Jahr, die feiner ziselierten und anbetungswürdig melancholischen Lieder der aktuellen zweiten Platte mit dem schönen Titel „Aha Shake Heartbreak“. Die enorme Stimme des Sängers Caleb klingt noch obszöner, dumpfer und belegter als im Studio – kaum aus dem Stimmbruch, und schon weiß er nicht mehr, wohin mit seinem Testosteron.

Sogar das Interessanteste an den Kings Of Leon, ihre harte Arbeit an der neuen alten Männerrolle, ihr postpathetisches, nicht ganz ironiefreies Herbeizitieren von Cockrock und altbackenen Geschlechterklischees bei synchronem Wissen darum, dass das eigentlich ja alles gar nicht mehr geht – im Konzert wird es plastisch. Zuerst gibt der Sänger ein Lied über Erektionsprobleme zum Besten, danach macht er den „Ladies“ im Publikum formvollendet Komplimente und zaubert dazu ein Lächeln in seine Teufelsfratze, wie es John Malkovich kaum besser könnte. Dabei ist es durchaus von Vorteil, dass er sich den Bart abgenommen hat – das Logo, mit dem die Band anfangs für Aufregung sorgte – und dafür jetzt sehr lustig seine Ohren aus der neuen Mädchenfrisur herausragen.

Und trotzdem. Irgendwie ist es alles auch ein bisschen zu artig, zu akkurat und aufgeräumt, was an diesem Abend passiert. Wachte man früher am Morgen nach einem denkwürdigen Konzert nicht mit Kater, Ohrensausen, blauen Flecken und ein Paar Handschuhen weniger auf? Was ist mit der Jugend von heute geschehen, dass sie sich so brav in die Schlange zur Garderobe reiht, weil doch sonst die dicken Winterjacken so blöd herumliegen? Warum nur ist es so aus der Mode gekommen, seine Gitarre zu zerdeppern oder wenigstens mal einen Mikrofonständer umzutreten?

Die Klimaanlage in der frisch renovierten Konzerthalle funktioniert so tadellos, dass weder die Band ins Schwitzen gerät noch die Tanzenden ganz vorne, die sich jedes Mal umständlich entschuldigen, wenn sie im Eifer des Gefechts mal jemandem auf die Füße treten. Die Musik ist so rücksichtsvoll gedämpft, dass man sich direkt vor die Boxen stellen müsste, für einen leichten Hörschaden und das Bier so teuer, dass man sich unmöglich betrinken kann. Als einmal der Sänger seinem Bruder zum Geburtstag gratuliert, stimmt das höfliche Publikum sofort ein Ständchen an. Dann denkt man plötzlich doch: Mag ja sein, dass die Kings Of Leon ziemlich gefährlich sind. So richtig gewalttätig, so hart, dass man mit ihnen eine Grippe auskurieren können müsste. Im Zweifelsfall sollte man sich aber darauf nicht verlassen.

  SUSANNE MESSMER