Für Sprengstoff ist gesorgt

AUS MÜNCHENJÖRG SCHALLENBERG

So ungefähr muss es sein, wenn man im Kino aufgefordert wird, den Saal zu verlassen – exakt in jenem Moment, in dem es gerade spannend wird. Als am 6. Oktober vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht das Verfahren gegen die fünf als Mitläufer eingestuften Angehörigen der rechtsextremen „Kameradschaft Süd“ begann, wurde noch am selben Tag die Öffentlichkeit ausgeschlossen – mit Verweis auf die Jugend der Beschuldigten, die zwischen 18 und 23 Jahre alt sind.

Der Beschluss des Gerichts verblüffte. Denn immerhin lauten die Vorwürfe im zurzeit noch laufenden Verfahren nicht auf Ladendiebstahl, sondern unter anderem auf Planung eines Bombenattentats auf die Grundsteinlegung des neuen jüdischen Gemeindezentrums in München im November 2003 sowie auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Anklageschrift stammt von der Generalbundesanwaltschaft: Ziel der Gruppe sei die „Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung zugunsten eines nationalsozialistisch geprägten Herrschaftssystems“ gewesen.

Die 23-jährige Angeklagte Jessica F. beschrieb in der einzigen öffentlichen Aussage des Verfahrens detailliert die Strukturen der „Kameradschaft Süd“ und vor allem die Aktivitäten der „Schutzgruppe“, die als selbst ernannte Führungselite Wehrsportübungen veranstaltet hatte. Jessica F. ließ keinen Zweifel daran, dass der Anführer der Neonazi-Truppe, der 28-jährige Martin Wiese, mit Waffengewalt „ein nationalsozialistisches Herrschaftssystem“ errichten wollte und zu diesem Zweck Anschläge plante und Kontakte zu diversen anderen rechten Gruppen pflegte.

Mehr war im Gerichtssaal nicht über die Münchner Neonazi-Truppe zu erfahren – das Bayerische Oberste Landesgericht schätzte die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten höher ein als das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung.

So sind noch viele Fragen offen, wenn heute vor demselben Gericht der zweite und entscheidende Prozess gegen die „Kameradschaft Süd“ beginnt. Auf der Anklagebank sitzen dieses Mal der Anführer Martin Wiese und drei seiner engsten Vertrauten: der 28-jährige Alexander M., der 24 Jahre alte Karl-Heinz St. und der 22-jährige David Sch. Die Vorwürfe gegen sie wiegen schwer: So haben sich Wiese, sein so genannter Stellvertreter Alexander M. und weitere Mitglieder der Gruppe bis zu ihrer Festnahme im September 2003 1,2 Kilogramm sprengfähiges TNT und diverse Waffen, darunter sechs Pistolen und mehrere Handgranaten, beschafft. Damit sollte offenbar das Attentat auf die Grundsteinlegung für das neue jüdische Zentrum in München am 9. November 2003 durchgeführt werden, an der auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der damalige Bundespräsident Johannes Rau und Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, teilnahmen. Deshalb sind die Münchner Neonazis auch wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches angeklagt – ein gegen Rechte selten gezogener Paragraf.

Eine der wichtigsten Fragen des Verfahrens lautet, ob die Angeklagten tatsächlich in der Lage gewesen wären, einen derartigen Anschlag auf eine Veranstaltung durchzuführen, die unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt wurde. Möglicherweise sollte bereits vorher die Baustelle des jüdischen Gemeindezentrums in die Luft gesprengt werden. Laut Aussage der Angeklagten im ersten Verfahren, dem Mitläuferprozess, seien auch ein Selbstmordattentat auf dem Marienplatz oder ein Anschlag auf eine griechische Schule diskutiert worden. Was passiert gewesen wäre, wenn der Sprengstoff nicht gefunden worden wäre, wird sich wohl schwer beweisen lassen. Zumal die Angeklagten in der Untersuchungshaft bislang allenfalls Teilgeständnisse abgelegt haben sollen und offenbar keiner von ihnen gegen die anderen auspacken will. Anscheinend waren Wiese und seine Kumpane auch auf eine mögliche Verhaftung vorbereitet. So sollen sie sich bei Szene-Anwälten genau erkundigt haben, wie man sich in einem solchem Fall am besten verhält.

Doch es bleiben genug andere wichtige Punkte, um die es vor Gericht gehen wird. Etwa die Frage, woher der Sprengstoff stammte. Laut Aussagen der Beschuldigten wollen sie ihn auf Truppenübungsplätzen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Polen aus Blindgängern und alten Granaten gekratzt haben. Polizei und Bundesanwaltschaft vermuten hingegen, dass das Material per Einkauf, möglicherweise in Polen, beschafft wurde. Was wiederum die Frage aufwerfen würde, wer dafür bezahlt hat – denn über größere Geldsummen verfügte niemand in der „Kameradschaft Süd“.

Laut Verfassungsschutz fand sich die Gruppe von etwa fünfzig Neonazis, darunter auch diverse Skinheads, Ende 2001 in München zusammen. Gründer und erster Anführer war offenbar der heute 29-jährige, seit Jahren als führender Rechter bekannte Norman Bordin, der jüngst als einer der prominenten Neuzugänge aus der militanten Szene in die NPD eintrat. Seine Referenzen sind eindeutig: Bordin war dabei, als im Januar 2001 eine Horde Rechter im Münchner Schlachthofviertel einen Griechen halbtot trat und prügelte – später wanderte der Kameradschaftsführer deshalb für 15 Monate hinter Gitter. Während Bordin im Gefängnis saß, übernahm Wiese die Chefrolle innerhalb der Gruppe.

Der 28-Jährige hat ebenfalls eine rechtsextreme Bilderbuchkarriere hinter sich: 1976 in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern geboren, beteiligte sich Wiese bereits 1992 an den Überfällen auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen – so schilderte es ein früherer Freund Wieses in der Fernsehsendung „Report Mainz“. Später siedelte Wiese nach München über und organisierte im süddeutschen Raum diverse Neonazi-Veranstaltungen, darunter Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung in München und Aufmärsche zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im fränkischen Wunsiedel.

Aus jener Zeit stammen die vielfältigen Kontakte innerhalb der rechten Szene, neben der NPD insbesondere zu anderen „Freien Kameradschaften“ im Süden und Osten der Republik.

Nach Wieses Verhaftung im September 2003 entschloss sich Generalbundesanwalt Kay Nehm, die Angelegenheit zur Chefsache zu machen und die Münchner Gruppe als terroristische Vereinigung einzustufen. Das Verfahren, das unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen abläuft, soll eine abschreckende Wirkung auf zur Gewalt entschlossene Rechtsextreme haben. Hat man jedoch die feixenden stadtbekannten Münchner Rechtsextremisten gesehen, die am ersten Verhandlungstag des Mitläuferverfahrens unter den Zuschauern im Gerichtssaal saßen, wird allerdings deutlich, dass ein so prominentes und aufwändiges Verfahren auch eine andere Reaktion auslösen kann: Die militante Rechte fühlt sich nun als Gegner des Staates endlich ernst genommen.

Zumal durchaus die Gefahr besteht, dass der heute beginnende Prozess gegen die Führungskader platzt. Denn zum einen wurde Wieses Wohnung abgehört, was nach neuer Gesetzeslage nicht mehr erlaubt ist. Wichtiger aber ist: Die Ermittler sind den Plänen der Neonazis nicht nur, wie anfangs angegeben, eher zufällig durch Hausdurchsuchungen wegen einer Schlägerei auf die Spur gekommen, sondern auch durch den Einsatz einen V-Mannes. Bei dem handelt es sich um den Franzosen Didier M., der mehrere Jahre in der französischen Faschistenszene aktiv war, bevor er nach Bayern kam. Ähnlich wie beim Verbotsverfahren gegen die NPD ist aber unklar, wie weit der Polizeispitzel selbst an der Vorbereitung der Attentatspläne beteiligt war oder ob er sie gar vorangetrieben hat.

Martin Wieses Anwältin Anja Seul behauptet, „dass der V-Mann Wiese eine Menge beigebracht hat, was Wiese noch nicht wusste“. Außerdem soll Didier M., der nun in einem Zeugenschutzprogramm betreut wird, an Waffenbeschaffungsaktionen beteiligt gewesen sein und immer wieder von einem großen „Bum“ in München getönt haben.

Anwältin Seul bezeichnet es als „relativ unangenehm“ für die Anklagevertreter, „dass nicht mein Mandant über Attentatspläne gesprochen hat, sondern der V-Mann“. Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) hat die Aktivitäten des V-Mannes bereits bestätigt, bestreitet aber, dass Didier M. eine treibende Kraft innerhalb der Kameradschaft war. Die Grauzone, in die man sich mit dem Einsatz eines Spitzels begibt, ist Beckstein bewusst: „Ein V-Mann hat nicht die ethische Klarheit, die ich von einem Bischof oder Kardinal erwarte.“ Damit taugt er erfahrungsgemäß aber auch als Zeuge der Anklage nur sehr begrenzt.