Die Unmöglichkeit des Glücks

Hinter jeder Kantilene der Sehnsucht lauert das Gelächter der Satire: Hans Neuenfels hat an der Komischen Oper Berlin Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ neu inszeniert. Eine lustvolle Entdeckung scharfer Kontraste und musikalischer Formen, die nichts der Einfühlung überlassen

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Es geht um das Bett. Mitten auf der Bühne steht es, aus edlem Holz und teuer, makellos weiße Kissen und Daunen liegen bereit zu dem einen Ereignis, das uns immerzu umtreibt, Tag und Nacht. Hans Neuenfels hat den Mut, alles andere wegzulassen, was sich über Dimitri Schostakowitschs Oper aus dem Jahr 1932 auch sagen ließe, über die Zeit ihrer Entstehung, die Tragödie des Stalinismus, den fortwirkenden Terror, die ihn noch 1963 zwang, sein Werk umzuarbeiten und anzupassen an die fortwährende politische Dummheit.

In der Komischen Oper Berlin ist davon nichts mehr zu sehen, und wenn es dennoch zu spüren ist, weil es in der Musik mitklingt, dann nur von fern gespiegelt in der einen zeitlosen Parabel, auf die Neuenfels das Werk reduziert hat. Ihr einziger Schauplatz ist das Bett, das der Bühnenbildner Gisbert Jäkel wie einen Boxring eingezäunt hat, denn natürlich ist der Sex vor allem ein Kampf der Geschlechter. Er muss öffentlich geführt werden – links und rechts ist die Bühne von Türchen mit den Gucklöchern einer Peepshow begrenzt. Dahinter lauert der Chor, der jederzeit hereinstürmen kann, um einzugreifen in das Geschehen, das mit dem intimen Glück privater Liebe nicht das Geringste zu tun hat.

Klarer als jeder denkbare Bezug zur politischen Aktualität gibt Neuenfels damit den Raum frei für die volle Größe der Katarina Ismailowa. Es ist ihr Drama, nicht etwa das Drama einer unglücklichen Ehe oder des Opfers russischer Zustände auf dem Lande. Nein, die Lady Macbeth von Mzensk leidet daran, dass auf diesem Bett nichts los ist. Es ist ihr langweilig, singt Anne Bolstadt in ihrem ersten Arioso. Sie ist eine zierliche Katerina, die ihre Stimme für diese Rolle überfordern muss, und was sie meint, zeigt sie mit den Händen, die keineswegs lasziv, sondern vollkommen sachlich das Bedürfnis beschreibend die Hüften streicheln.

Männer freilich gibt es genug, nicht nur den übermäßig hoch singenden Ehemann. Andreas Conrad macht mit seinem Falsett aus dieser Nebenrolle eine hübsche Karikatur der Impotenz, man ist trotzdem froh, dass er noch vor der Pause ermordet wird. Gewichtiger ist der Schwiegervater. Jens Larsen, noch gut in der Rolle des Osmin als sadistischer Schlächter aus Mozarts „Entführung“ in Erinnerung, gibt ihn als gichtig-bösartigen Greis, der um das Bett schleicht, weil auch er an nichts anderes denken kann. Katarina befreit sich von dem Aufpasser mit Rattengift. Und es gibt Sergei, den Rammler, der schon im zweiten Bild die Köchin zum Gaudi des Chors der Arbeiter vergewaltigt – nicht im Bett, sondern in einer Blechtonne. In das Bett nimmt ihn erst Katarina, und eine Zeit lang weicht das eisgraue Licht der Peepshow dem warmen Sonnenschein des Liebesglücks, und um das Bett herum ist die Andeutung eines Lustgartens aufgebaut.

Aber Liebe ist auch das nicht, nicht einmal verbotene, tragische. Es kann nicht gut ausgehen in diesem Bett, nicht nur weil der Mord an dem zu früh heimkehrenden Ehemann verraten wird. Schostakowitsch selbst lässt den Gedanken an die Zärtlichkeit des Gefühls nur als Ironie zu. Gewiss steckt darin auch die Trauer um ein verlorenes, unmöglich gewordenes, vielleicht sogar utopisches Glück, im musikalischen Text jedoch lauert hinter jeder Kantilene der Sehnsucht das Gelächter der Satire.

Denn auch Schostakowitsch gewinnt bei Neuenfels den Raum, den er zur Entfaltung braucht, und Vassily Sinaisky nutzt ihn am Pult, so gut es eben mit den nicht immer perfekten Mitteln des Hauses möglich ist. Eher lust- als glanzvoll spielt das Orchester all die Klangreize, Brüche, Zitate und holzschnittartig scharfen Kontraste aus, als seien sie Entdeckungen, die noch nie zuvor gehört wurden. Es sind tatsächlich Entdeckungen, denn die politische Tragödie des Komponisten hat gelegentlich vergessen lassen, mit welcher Unbekümmertheit und Virtuosität er die Schnitttechniken des Films und die Collagen des Surrealismus auf die Musik übertragen hat. Sie zerhackt dieses Bühnendrama aus dem 19. Jahrhundert in absurde, grell ausgeleuchtete Fragmente: eine Herausforderung, nicht nur für reaktionäre Stalinisten.

Der Einfühlung bleibt nichts, alles ist so sehr nur Form, dass es gar nicht stört, wenn der Sergei von Jürgen Müller wie auch Anne Bolstads Katarina seltsam seelenlos bleiben. Es sind Puppen eines Maschinentheaters; so ist es nur folgerichtig, dass Neuenfels am Ende auf den symbolträchtigen Marsch der Gefangenen nach Sibirien verzichtet. Sie laufen nur im Kreis, denn im Schlussbild ist das Bett durch ein Drehkreuz ersetzt. Vielleicht war es das ja immer schon. Wie im Viehgehege eingesperrt geht es auch jetzt nur um das eine. Sergei vögelt die Nächste, Katarina stößt sie in den Fluss, fällt selbst hinein, und mit grausig grinsenden Masken formiert sich der Chor an der Rampe zum Schlussapplaus, den er denn auch reichlich und zu Recht bekommt.