Neues aus Bonos Welt

Große Ideen für große Arenen oder Wie man in anderthalb Strophen den Nahostkonflikt löst: Auch auf dem neuen Album der Friedensrocker U2 riecht Freiheit wie ein frisch gewaschener Babykopf

VON ANDREAS MERKEL

Fürchtet euch nicht. Bei allem Ungemach, das der Welt zurzeit droht, haben unsere Tage auch eine frohe Botschaft: U2 gibt es immer auch noch! Pünktlich nach dem amerikanischen Wahldebakel und rechtzeitig zum Fest haben die notorischen vier Iren ihr elftes Studioalbum unter dem hochpolitischen Titel „How To Dismantle An Atomic Bomb“ (Island/Universal) veröffentlicht. Es ist, um die Katze gleich aus dem Sack zu lassen, ein besinnliches Weihnachtsalbum geworden, ein bisschen Tischfeuerwerk für Silvester und Engagement für die Neujahrsansprache gleich mitgeliefert.

Das ist bei dem Markenzeichenpop, den U2 wie wohl niemand neben ihnen perfektioniert haben, natürlich keine Überraschung. Es gibt auch diesmal wieder reichlich von Bonos pathetischen Refrains und Bonos pathetischen Refrains sowie von The Edges glockenhellen Gitarrenriffs und The Edges glockenhellen Gitarrenriffs. „Vorsprung durch Technik“, wie Bono mal mit seltener Selbstironie in dem Song „Zooropa“ witzelte: Seit nunmehr 25 Jahren veröffentlichen U2 mit dem unternehmerischen Selbstverständnis eines Autobauers Alben, die sich ähneln wie ein Golf dem nächsten. Das neue gibt’s auch als iPod, für den Werbestrategen Bono das „sexieste“ Musikinstrument seit Erfindung der E-Gitarre.

Bei Amazon stieg „How To Dismantle An Atomic Bomb“ denn auch gleich auf Platz 1 der Verkaufscharts ein (gefolgt auf Platz 2 von der Deluxe-Version ihrer Platte mit Bonus DVD). Und auch wenn die Begeisterung unter den Fans nicht so recht hochkochen will – „Amigos, schreibt ein Argentinier in seiner enttäuschten Internet-Rezension, „lamentable U2, la decadencia es imminente!“ –, traf das auch schon auf den sich immerhin elf Millionen Mal verkaufenden Vorgänger „All That You Can’t Leave Behind“ zu.

Tatsächlich handelt es sich jedoch um einen künstlerisch-kreativen Abstieg auf höchstem kommerziellen Niveau, wie er für die Liga, die sich U2 mit Bands wie R.E.M. oder den Rolling Stones teilen, typisch ist. Zwar gelingen U2 immer noch ein paar Balladen in der Tradition ihrer größten Hits „With Or Without You“ oder „One“. Auf dem neuen Album sind dies Songs wie „City Of Blinding Lights“, in dem Bono mal nicht schwülstig, sondern mit der Ambivalenz eines Stalkers über „romantic love“ singt.

Richtig schlimm wird es dagegen, wenn die Band ihre Kernkompetenz vergisst und versucht, zu „rocken“ und zum Beispiel auf ihrer ersten Single-Auskopplung „Vertigo“ mit den ganz alten Alben wie „Boy“ und so ihre eigene „Das Beste der 80er, 90er und nicht von heute“-Party feiern will. Oder wenn Chefideologe Bono mal wieder die christlichen Werte von „Love And Peace Or Else“ unters Volk bringen will – „Big Ideas“ für „Bigger Arenas“, fand die New York Times. In Wirklichkeit besingt Bono inzwischen seine eigene kleine Welt, in der sich „able“ noch auf „table“ reimt, in der die Freiheit wie ein frisch gewaschener Babykopf riecht und in der sich der Nahe Osten mit anderthalb Strophen befrieden lässt: „Lay down / Lay down your guns / All your daughters of Zion / All your Abraham sons!“ Jetzt hört doch mal mit dem Schießen auf!

Und Bono kann dafür weiterhin alle vier Jahre ein Album veröffentlichen (die Texte und Musik haben U2 schon) und ansonsten die Nachfolge von Kofi Annan antreten. „How to dismantle an atomic bomb?“, soll er einen Freund immer wieder gefragt haben. Als der nicht weiter wusste, gab sich Bono die Antwort eben selbst: „With love, with love!“ – bei allem Respekt: Damit hätte er ruhig ein bisschen früher rausrücken können!