Angriff auf einen Angreifbaren

Kaum ein anderer Politiker macht seine privaten Angelegenheiten so öffentlich wie Klaus Wowereit (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister. Seine offensive Lebenslust liefert nun der konservativen Reaktion die passende Munition für homophobe Hetze

VON PHILIPP GESSLER

Eines muss man Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner lassen: Er schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Gestern etwa schrieb er in seiner täglichen Kolumne „Post von Wagner“ an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD): „Die Würde der Schwulen geht mir langsam auf den Keks – und Ihr Markenzeichen schwul auch. Schwulsein ist nicht besser.“

Anlass des Ausbruchs war eine Fragestunde im Abgeordnetenhaus von Berlin, in der sich „der Regierende“ Anfragen von CDU- und FDP-Politikern stellen mussten, die einen Skandal witterten: Wowereit hatte mal einen zu hellen Anzug getragen (in Bangkok), während einer Gala eine Freundin geküsst, in einer TV-Show eine Rauferei simuliert und in Mexiko mal einen Sombrero getragen. Glücklich die Stadt, die solche Probleme hat!

Dennoch wird seit Wochen in der Boulevardpresse der Hauptstadt eine regelrechte Kampagne gegen das Stadtoberhaupt gefahren: „Wowereit blamiert Berlin“, „Hat Wowi keinen Knigge?“, oder: „Wowereit, Regierender oder blamierender Bürgermeister?“ waren die Schlagzeilen. Und die Frage ist: Warum erregt das manchmal unkonventionelle Auftreten Wowereits die Presse so sehr? Glaubt wirklich ernsthaft jemand daran, diese „Skandale“ würden einen Investor davon abschrecken, in Berlin sein Geld anzulegen? Ist es vorstellbar, dass Wowereits Macht auf Bundesebene sinkt, weil er mal den falschen Anzug aus dem Schrank geholt hat? Und ist dadurch etwa die „Würde des Amtes“ gefährdet, was immer das sein mag?

Nein, natürlich geht es zum einen darum, jemanden auf persönlicher Ebene anzugreifen, dessen Politik man nicht schätzt – und Wowereit ist nun einmal trotz (oder gerade wegen) seiner Mini-Eskapaden als Stadtoberhaupt beliebter, als er es angesichts der eher schlechten Politik des Senats sein dürfte. Aber so funktioniert eben die Mediendemokratie, und „der Regierende“ ist clever genug, auf dieser Klaviatur zu spielen.

Zum anderen aber lässt sich die unqualifizierte Hetze gegen „den Regierenden“ wegen Küsschen, Sombrero und hellem Anzug auch als ein Ausdruck verdrängter Homophobie werten. Seit sich Wowereit kurz vor Amtsantritt selbst geoutet hat („ … und das ist gut so!“) bemüht sich die hauptstädtische Boulevardpresse geradezu rührend, seine Homosexualität gaaanz, gaaanz normal zu finden. So viel Heuchlerei war selten.

Eberhard Diepgens langjährige Regentschaft ist für das heutige Finanzdesaster der Metropole verantwortlich. Ihn aber hat noch niemand wegen seiner schlecht sitzenden Anzüge angegriffen, wie auch die Libido eines Willy Brandt seinerzeit nie zum Thema geworden ist. Nur Wowereit wird beobachtet wie kein Ministerpräsident vor ihm. Und das soll alles mit Homophobie nichts zu tun haben? Zu tun hat es auch damit, dass Wowereit öffentlich ein Tabu verletzt hat. Wer so offensiv die Ausrichtung seiner Sexualität zu Markte trägt, bei dem legt der selbst sexualisierte Boulevard alle Hemmungen ab. Mag sein, dass beim Politiker Wowereit das Private in bisher kaum denkbarem Maße politisch ist. Aber wenn er keine Privatsphäre mehr hat, dann deswegen, weil sie ihm nicht mehr zugebilligt wird.

Vielleicht trägt Wowereit daran eine Mitschuld, vielleicht ist die Kampagne eine konservative Reaktion auf die liberale Bekenntnisfreude einer Schwulenbewegung, die bisweilen öffentlich macht, was nur die liebenden Männer etwas angeht. Wowereit jedenfalls hat seine Teilnahme am kommenden Bundespresseball, bei dem jährlich 2.500 mehr oder weniger prominente Gäste erwartet werden, kommentarlos abgesagt.

Am Ehrentisch eines Bundespresseballs in den Sechzigerjahren hat der große Bonner Politik-Fotograf Jupp Darchinger ein schönes Bild gemacht: Helmut Kohl, damals noch Provinzpolitiker aus der Pfalz, hatte sich an Walter Scheel, Willy Brandt und den damaligen Kanzler Kurt Kiesinger herangepirscht – um die Granden der Bundespolitik mit dem Foto einer leicht gekleideten Bedienung zu erfreuen, wie Darchinger sich erinnert. Auf seinem Foto lachen oder lächeln alle Beteiligten. Aber so etwas ist ja okay unter echten Männern. Schließlich gingen die Herren mit Personen des richtigen Geschlechts ins Bett.