Gut geölte Gesellschaft

Wenn Armut und Luxus sich die Hände reichen: In Großstädten machen Obdachlose als wandelnde Litfaßsäulen Werbung für das angeblich teuerste Olivenöl der Welt

Gestern standen neun Obdachlose in der Kälte Deutschlands. Sie trugen ein Pappschild um den Hals: „Sie kennen das beste Olivenöl der Welt noch nicht. Aber ich!“ Sie standen in München und Stuttgart, in Rostock am Brunnen der Lebensfreude und in Berlin vor der Galerie Lafayette in der Friedrichstraße. Es handelte sich nicht um eine Kunstaktion, auch nicht um Kapitalismuskritik. Im Gegenteil entsprang die Idee für die nach Eigenaussage „wohl beste Werbeaktion des Jahres“ dem Hirnzellenhaufen des oberbayerischen PR-Agenten Tobias-Georg Kurzmaier, nach eigener Aussage CSU-Karteileiche. Als ehemaliger Pressesprecher der Jungen Union Haag hatte er sich noch für ein Verbot von Technomusik in ganz Bayern eingesetzt, mittlerweile verwendet er seine kreativen Energien auf das Verticken von sizilianischem Olivenöl, dessen Produktname hier ganz bestimmt nicht erwähnt werden wird. Angeblich träufeln es sich die Scheichs von Dubai auf ihr Carpaccio, angeblich handelt es sich um das teuerste Olivenöl der Welt – in Wirklichkeit handelt es sich um ein völlig unbekanntes Produkt, das sich mit 23 Euro pro Liter im gehobenen Yuppie-Normbereich bewegt und das nun mit aller menschlichen Gewalt in den Markt gedrückt werden soll, mithilfe der Medien.

Kurzmaier ist dementsprechend auskunftsfreudig am Handy, aber erst einmal muss er sein Mittagessen bestellen: Tomatensuppe, Goldbarsch, Rumpsteak und ein zünftiges Radler. Er sitzt in München und feiert seine „logistische Meisterleistung“. Die Idee sei vom Hersteller selbst, „Benetton, sie wissen schon, Italien, Antithese und so, Provokation“. Die Obdachlosen sind ihm angeblich von Arbeitsämtern und Wohlfahrtsverbänden vermittelt worden und erhielten einen „großzügigen Stundenlohn“. Das mit den Wohlfahrtsverbänden hält sogar der diesen gegenüber eher kritisch eingestellte Motz-Redakteur Christian Linde für äußerst unwahrscheinlich – zumindest in Berlin sei von einer solchen Vermittlungstätigkeit bislang nichts bekannt. Und „Mischi“ (50), Obdachloser und Werbeträger aus Berlin, hat auch nichts mit 1-Euro-Jobs zu tun: Er erklärt auf Anfrage, dass ein Kumpel ihn in die Friedrichstraße geschickt habe. Dann würde jemand kommen und ihm eine Flasche Olivenöl schenken. Es zu trinken sei gesund – Geld habe er keines bekommen. Mischi blickt zu Boden, seit wann er „auf Platte ist“ weiß er nicht mehr und auch nicht, was diese Leute von ihm wollen, die Presse und diese merkwürdigen Typen mit Sonnenbrille, die unweit herumlungern.

Zwischen seinen Beinen steht eine Lidl-Tüte mit seinen Habseligkeiten. Die Lidl-Stiftung zahlt ihm dafür keinen Pfennig, obwohl er doch Werbung für den Discounter macht. Er ist eine bewegliche Litfaßsäule, setzt einen Link im öffentlichen Raum, und das permanent – für seine Tätigkeit müssen nicht mal Sozialabgaben geleistet werden. Es hat eben jeder seinen Platz in dieser gut geölten Gesellschaft.

MARTIN REICHERT