lexikon der globalisierung
: Was bedeutet eigentlich Zivilgesellschaft?

Ins Deutsche kam der Begriff vor allem über die polnische Bürgerbewegung. Im stalinistischen Sozialismus hatte der Staat alle gesellschaftliche Selbstorganisation erstickt – außer der privaten Nischen-Gesellschaft und den informellen Tauschbeziehungen. Die Entstehung der polnischen Gewerkschaft „Solidarność“ und die Forderung nach „horizontalen Strukturen“ durch Gliederungen der Partei läuteten das Ende des autoritären Gesellschaftsmodells ein.

Nun tauchte das aus der Antike stammende Konzept auf, das die Bourgeoisie einst gegen den Feudalismus gerichtet hatte: die societas civilis. Es reklamierte die Mitgestaltung der Verhältnisse – beschränkt auf Männer mit Eigentum und Bürgerrecht. Ins Deutsche kam Fergusons Civil Society, aus der die Kapitalisten ausgeschlossen sein sollten, als „bürgerliche Gesellschaft“, für Kant die Herrschaft des Rechts. Hegel füllte sie mit dem, was Ferguson ausgeschlossen hatte. „Bürgerlich“ war von nun an vor allem „bourgeois“. Für den revolutionären citoyen gab es kein Wort mehr.

Neu ausgearbeitet wurde „Zivilgesellschaft“ in Gramscis Gefängnisheften. Hier bezeichnet es das Gewimmel gesellschaftlicher Selbstorganisationen, in denen sich politische Überzeugungen bilden. Gegen vulgärmarxistische wie idealisierende Konzepte setzt er den Staat, der aus der politischen Gesellschaft plus der Zivilgesellschaft bestehe. Das bedeutet Hegemonie, gepanzert mit Zwang. Der uniforme Konsens kleidet sich zivil.

Der Kampf gegen Gewalt und Unrecht verdichtet sich in der Zivilgesellschaft. Sie tendiert zur Demokratie, sofern in ihr der Anspruch zu Hause ist, dass man ein Wort mitzureden habe. Wenn Arundhati Roy an die „widerspenstige Zivilgesellschaft“ appelliert, steht diese nicht nur für „die Artikulation einer widersprechenden Auffassung, sondern auch das effektive Erzwingen von Veränderungen“.

WOLFGANG FRITZ HAUG

Das Lexikon erscheint montags in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac