Ächten allein reicht nicht

Fünf Jahre nach dem Verbot von Antipersonenminen zeigt sich: Bis zu einer Welt ohne Minen ist es noch weit. Ein Zwischenbilanz zum Beginn der Konferenz von Nairobi

Noch immer werden weltweit jährlich etwa 20.000 Menschen durch Minen verstümmelt und getötet

Ein „Modell für eine neue aktive Friedenspolitik“ nannte das Osloer Friedensnobelpreiskomitee die „Internationale Konvention zum Verbot von Antipersonenminen“, die 1997 im kanadischen Ottawa vereinbart wurde. Seit 1999 ist das Abkommen formell in Kraft. Nun, fünf Jahre danach, ziehen die Vertragsstaaten in Nairobi eine erste Bilanz.

Die gute Nachricht zu Beginn: Es ist ohne Frage gelungen, eine der mörderischsten Waffen des letzten Jahrhunderts weltweit zu ächten. Kaum jemand bekennt sich heute noch öffentlich zu Minen. Politiker, die diese Waffen vor einigen Jahren noch rechtfertigten, reagieren verschämt. Ehemalige Hersteller gehen so weit, zu behaupten, nie Minen produziert zu haben. Sogar Militärs beginnen, sich mit dem Verlust einer Waffe zu arrangieren.

In über 150 Ländern sind Antipersonenminen heute verboten. Selbst Länder wie China oder die USA, deren Armeen noch über Minen verfügen, wollen sie eigentlich loswerden. Mit einer so in Verruf geratenen Waffe ist auch kein Geschäft mehr zu machen. Die Zahl der Produzenten von Antipersonenminen ist drastisch zurückgegangen, der grenzüberschreitende Handel gänzlich zum Erliegen gekommen. Erstmals werden mehr Minen vernichtet und geräumt als neu verlegt. Über zwei Milliarden Dollar sind seit Anfang der Neunzigerjahre für Minenräumprogramme zur Verfügung gestellt worden. Langsam, aber merklich kehrt in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die in den Achtzigerjahren von den Stellvertreterkriegen des West-Ost-Konflikts verheert wurden, das Leben zurück.

Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Zumal das, was erreicht wurde, zuallererst auf zivilgesellschaftliche Initiative zurückzuführen ist. Erstmals in der Geschichte war es nämlich die Öffentlichkeit, die den vereinigten Militärs dieser Welt ein Waffenverbot abzuringen vermochte. Mit dem Ottawa-Vertrag wurde erstmals Völkerrecht unter Mitwirkung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geschrieben. Und erstmals konnte ein Abrüstungsabkommen um humanitäre Verpflichtungen erweitert werden.

Artikel 6 des Ottawa-Vertrags fordert alle Vertragsstaaten zu Hilfen bei der Beseitigung der Minen und der physischen, sozialen und wirtschaftlichen Reintegration der Opfer auf. Hier wird globale Verantwortung mehr als nur eingefordert. Ein Vorgang, der Seltenheitswert besitzt. Es ist gut, dass sich auch die Bundesrepublik Deutschland an der Beseitigung der schrecklichen Folgen von Minen beteiligt.

Angesichts des Erfolgs der 1991 von medico international und der Vietnam Veterans of America Foundation ins Leben gerufenen Kampagne zum Verbot von Landminen, angesichts des Ottawa-Vertrags und der Ehrung durch den Friedensnobelpreis 1997 halten viele das Thema Minen heute für erledigt – ein Trugschluss.

Noch immer werden jährlich etwa 20.000 Menschen während der Landarbeit, bei der Suche nach Feuerholz, auf dem Weg in die Stadt oder zur Schule verstümmelt oder getötet. Noch immer sind große Anstrengungen zu unternehmen, um alle Minen zu räumen. Und die Minenopfer, die zu einem Drittel Kinder sind, werden jahrzehntelang auf die Bereitstellung adäquater Hilfen angewiesen sein. Es gilt, für Prothesen zu sorgen, die psychosoziale Betreuung der Opfer zu sichern und Wiedereingliederungshilfen sowie Erwerbslosen- und Kriegsversehrtenrenten zu gewährleisten. Dafür wird noch über Jahre hinweg sehr viel Geld bereitzustellen sein – weit mehr, als dies bislang der Fall ist. Solche zusätzlichen Mittel aber dürfen nicht zu Lasten der ohnehin schon unter Druck stehenden Budgets für Gesundheit, Bildung und all die anderen Entwicklungsaufgaben gehen. Stattdessen sollten sie über Rüstungskonversion finanziert werden.

Aber noch aus einem weiteren Grund ist das Thema Minen nicht erledigt. Der Ottawa-Vertrag verbietet nur eine bestimmte Gruppe von Minen, die so genannten Antipersonenminen. Der Einsatz von Antifahrzeugminen dagegen ist nach wie vor erlaubt. Aber auch Antifahrzeugminen töten und verstümmeln Menschen.

Nicht wenige dieser Minen sind mit hochsensiblen Zündern ausgestattet, die auch von Zivilisten ausgelöst werden können. Aufgrund ihrer enormen Zerstörungskraft fordern Antifahrzeugminen, die selbst Panzer aufbrechen können, einen sehr viel höheren Blutzoll. Getroffen werden Erntefahrzeuge, voll besetzte Schulbusse und Konvois mit Nahrungsmittelhilfen.

Auch die Bundeswehr verfügt noch über Antifahrzeugminen, die aufgrund ihrer Zündertechnologie eigentlich als Antipersonenminen zu gelten hätten und als solche durch das Ottawa-Abkommen verboten sind. Es ist gut, dass der Bundestag die Bundesregierung zu Nachbesserungen aufgefordert hat. Und es ist fraglos richtig, dass auch die modernen Streuwaffen in den Blick der Parlamente geraten sind. Streubomben und per Artillerie verschossene Streumunition werden zu De-facto-Minen, wenn sie beim Aufschlag nicht explodieren, wie das in Afghanistan und dem Irak zu einem hohen Prozentsatz der Fall gewesen ist.

Angesichts des Ottawa-Vertrags halten viele das Thema Antipersonenminen für erledigt

Von skandalösem Zynismus zeugt, dass das Minenverbot gar für die Legitimation neuer Hightechwaffen herhalten muss. Mit Hochdruck entwickeln Rüstungsbetriebe derzeit Waffensysteme, die – wie die herkömmlichen Minen – das Sperren von Gelände und die Kontrolle von Bewegung ermöglichen, dabei aber keinen Sprengstoff verwenden. Stattdessen setzen die modernen „Minen“ auf Mikrowellen, gerichtete Energie, Betäubungsmittel, ätzende Substanzen oder Klebstoffe. Andere lösen akustische Reize aus, die imstande sind, Eingeweide zu verflüssigen. Sogar Biowaffen, die Viren oder Toxine enthalten, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie nur bestimmte ethnische Gruppen infizieren, sind im Gespräch.

Die Modernisierung der Arsenale aber kann nicht das Ziel der „erfolgreichsten Bürgerbewegung“ (UN-Generalsekretär Kofi Annan über die internationale Kampagne zum Verbot von Landminen) sein. Nicht die Perfektionierung des Krieges ist gefragt, sondern die Beseitigung der Kriegsursachen – mithin die Umwidmung von Militärbudgets für Programme zur Förderung sozialer Gerechtigkeit.

Allein die Schaffung von Verhältnissen, die garantieren, dass Konflikte auf andere als auf mörderische Weise ausgetragen werden können, lässt es auf Dauer zu, dass das Ziel einer „minenfreien Welt“, das in Nairobi nun nochmals bekräftigt werden wird, auch erreicht werden kann. Nicht mehr Kontrolle und mehr Verbote sind notwendig, um den Krieg zu beseitigen, sondern der soziale Ausgleich und die demokratische Partizipation aller. Freilich muss beides in der Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, die das Unrecht begründen, erst erstritten werden. Internationale Netzwerke wie die Landminenkampagne werden daher jetzt für die Aufhebung des Demokratiedefizits kämpfen müssen, das auf internationaler Ebene nach wie vor existiert. THOMAS GEBAUER