Von A nach B der Arbeit wegen

Moderne Nomaden sind immer flexibel und mobil, weil sie ihren Wohnort dem Beruf unterordnen müssen. Doch immer mehr Menschen haben dieses Leben mit Dauer-„Jetlag“ satt

VON MICHAEL LÜNSTROTH

Stuttgart, Berlin, Hamburg, München und Köln. Das sind die Stationen, die Max in den letzten zehn Monaten durchlaufen hat. Fünf Städte und zehn Monate: Das macht im Schnitt zwei Monate pro Stadt. Keine Zeit, um Wurzeln zu schlagen oder sich ein soziales Netzwerk aufzubauen. „Wenn ich in eine neue Stadt komme, dann arbeite ich da in erster Linie, alles andere wie Weggehen, Freundetreffen fällt weg“, so Max. Er hat fertig studiert, will Journalist werden. Und weil in den Redaktionen so wenig Stellen offen sind, tourt er in einer Praktikums-Hopping-Tour quer durch Deutschland. Nicht weil er so scharf darauf wäre, unterwegs zu sein, sondern weil er muss. Unser Max heißt Mustermann mit Nachnamen und ist nur imaginär. Trotzdem steht er mit seiner Situation für viele Menschen, die das gleiche Los teilen: unterwegs sein zu müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Die Journalistin Gundula Englisch hat ein Buch über diese Menschen geschrieben: „Jobnomaden“ heißt es und ist vor drei Jahren erschienen. Darin beschreibt sie, dass wir alle zu einer modernen Nomadengesellschaft gehören. „Wir werden zu Jobnomaden, Liebesnomaden, Werte- oder Glaubensnomaden und eilen durch die Welt.“ Klar ist, dass sich die Welt in den letzten zwanzig Jahren mit wachsendem Tempo immens verändert hat. Alles scheint schneller zu gehen und vergehen, man ist dem Zwang zu Flexibilität und Mobilität schutzlos ausgeliefert, niemand kann sich dem entziehen.

Dass dies so ist, hat positive und negative Seiten: Weniger Abhängigkeit und mehr Freiheit stehen weniger Gleichheit und mehr Oberflächlichkeit gegenüber. Über das Für und Wider lässt sich streiten. Fakt bleibt, dass es so ist. Fraglich ist nur, ob dieses Modell des Wanderarbeiters und Teilzeitliebenden heute noch Anhänger findet.

Glaubt man einer Studie des B.A.T-Freizeitforschungsinstituts in Hamburg, dann wird die Anzahl der Freunde eines solchen Lebensstils immer kleiner. Fast drei Viertel aller Berufstätigen wollen auch im 21. Jahrhundert am liebsten arbeiten wie ihre Eltern: fest angestellt und mit geregeltem Feierabend. Die Sehnsucht nach der großen, weiten Welt schwindet. Offensichtlich ziehen es viele Menschen vor, sich in die Nische ihrer Gemeinde, ihres Dorfes, ihrer Stadt zurückzuziehen, um darauf zu warten, dass der böse Geist Globalisierung an ihnen vorüberzieht.

Besonders erstaunlich an der Studie des Hamburger Instituts ist, dass sich auch die jungen Menschen (zwischen 18 und 34 Jahren) mit großer Mehrheit für den geregelten Feierabend entschieden haben: 63 Prozent dieser Altersklasse sehnt sich nach der Sesshaftigkeit. Das ist bemerkenswert, denn normalerweise ist es immer die junge Generation, die hinaus in die Welt will, um diese zu entdecken. Wird die Jugend, eigentlich ein Quell von Rebellion und Revolution, zum müden Haufen von lahmen Zu-Hause-Bleibern?

Für Thomas Webers, Diplompsychologe und Unternehmensberater, ist die Sache klar: „Manche Jugendliche sind einfach zu verwöhnt. Wer alles hat, der muss um nichts kämpfen“, deutet Webers die Lethargie der Jugend auch als Konsequenz von zu lascher Erziehung. Er gesteht den Jugendlichen durchaus zu, dass sie Ängste haben können, weist aber auch gleichzeitig darauf hin, dass die Lebensbewältigungskompetenz nicht durch Aussitzen oder Nichtstun gestärkt wird.

Die Sehnsucht nach Sesshaftigkeit und einem Stück Sicherheit setzt Webers hier mit Bequemlichkeit gleich. Ist das wirklich so einfach? Eher nicht. Der Wunsch nach einem Orientierungspunkt im Leben hat vielmehr mit akuten Zukunftssorgen und einer großen Verunsicherung zu tun. Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, wie stark diese Verunsicherung ist, der sollte ein Bewerbungsseminar an einer beliebigen deutschen Hochschule besuchen. In Berlin endete so ein Abend kürzlich mit der Frage, ob bei einem Vorstellungsgespräch zu einem einfarbigen Hemd eine bunte Krawatte getragen werden darf. Wenn die künftigen Absolventen schon bei der Kleidungsfrage scheitern, dann muss man sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft dieses Landes machen. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt, doch er verrät viel über die Ängste der Menschen.

Kaum noch etwas ist sicher in dieser Welt, alles ist im Wandel. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die nachwachsende Generation an das festklammert, was sie sicher hat: ihre Heimat. Vertraute Wege und bekannte Gesichter inklusive. Das Sicherheitsdenken ist wieder auf dem Vormarsch. Letztlich sind diese Beobachtungen Symptome dafür, dass sich die Gesellschaft im Umbruch befindet.

In Zeiten von Sozialabbau, Hartz IV und Massenentlassungen fürchtet jeder, als Nächster von der Krise betroffen zu sein. Ganz nach dem Motto: Heute Opel und morgen dein Arbeitgeber. Angst liegt in der Luft: die Angst um den Arbeitsplatz, die Angst, den eigenen Lebensstandard nicht mehr halten zu können. In diesem Klima ist kein Platz für große Träume und Weltsehnsuchtsfantasien. Es ist auch das reflexhafte Zurückschrecken vor Veränderung, das die Menschen nach dem Spatz in der Hand greifen lässt, noch ehe sie die Taube auf dem Dach bemerkt haben. Was man hat, das hat man. Dazu gehört eben auch der Wunsch nach geregeltem Arbeitsalltag und einer festen Basis im Leben.

Wie wichtig das ist, weiß jeder, der mal ein Leben wie Max Mustermann geführt hat. Denn wer ständig unterwegs ist, schafft es nicht, sich ein verlässliches soziales Netzwerk zu bauen, und der wird auf Dauer nicht glücklich sein. Weil das Leben aus Koffern in möblierten Apartments irgendwann unzufrieden macht. „Es liegt doch in der Natur des Menschen, sich ein Nest zu bauen“, meint Psychologe Webers. Der Mensch als das soziale Tier. Als solches braucht er Kontinuität, bekannte Leute um sich und eine vertraute Umgebung. Für das eigene Wohlbefinden sei das elementar wichtig. Genau deshalb sind am Wochenende die Züge der Deutschen Bahn berstend voll: weil jeder in sein warmes Nest möchte.

Neben den Berufspendlern gibt es noch die Liebespendler, die nicht wegen des Jobs, sondern wegen des Partners quer durch die Republik reisen. Zwölf Prozent aller deutschen Paare leben zurzeit in einer Fernbeziehung. Nach Expertenschätzungen könnte diese Zahl im Jahr 2010 auf 20 Prozent anwachsen. Die Zahl der Pendler zwischen Lebensabschnittspartner und Lebensabschnittsjob wird wohl weiter zunehmen. Auch wenn das immer weniger wollen.

Den Bonner Psychologen Thomas Webers wird das freuen, denn er findet, dass die Deutschen zu sehr in ihren Grenzen verharren und nichts mehr wagen: aus lauter Angst, gewonnene Besitzstände wieder zu verlieren. Das sei in den USA ganz anders: „Mobilität gehört da zum Alltag.“ So will Webers Mobilität denn auch in erster Linie als große Chance begreifen. „Das kann doch auch immer eine Möglichkeit zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation sein.“ Letztlich lässt sich der Konflikt zwischen der beruflich erzwungenen Mobilität und dem Wunsch nach privater Sesshaftigkeit nicht lösen. Vielleicht geht es aber auch nur darum, irgendwann einfach eine Entscheidung zu treffen und einen Weg konsequent zu gehen.

Gundula Englisch hat in ihrem Buch versucht, dieses Dilemma in ein Bild zu verwandeln: „Was wir zum zufrieden stellenden Leben in der modernen Gesellschaft brauchen, sind Flügel und Wurzeln.“ Wie etwas, das Wurzeln hat, fliegen können soll, ohne dass die Wurzeln herausgerissen werden, hat sie allerdings offen gelassen.