Vom Frieden ist keine Spur zu entdecken

In Reaktion auf Ruandas erneute Truppenentsendung nach Ostkongo macht nun Kongo gegen Ruanda mobil. Die Menschen in der betroffenen Region haben sich an diese Art Spannungen längst gewöhnt: Sie kennen seit acht Jahren nichts als Krieg

AUS BUKAVUDOMINIC JOHNSON

Wenn Blicke töten könnten, hätte der neue Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo schon viele Opfer gefordert. Angst und Misstrauen ist auf den Gesichtern in Bukavu abzulesen, die 700.000 Einwohner zählende Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu dicht an der ruandischen Grenze. Lastwagen voller finster dreinblickender Soldaten mit blitzenden Gewehren rauschen durch das Stadtzentrum; eine Gruppe kräftiger junger Männer mit Macheten in der Hand und Kriegsliedern auf den Lippen rennt im Gleichschritt eine Straße bergauf. Wenn dann auch noch Studenten gegen Studiengebühren demonstrieren, bleibt wenig Platz für die Straßenkinder, die brav Schlange stehen, um wie Hunde das schlammrote Wasser aus einer besonders tiefen Pfütze zu schlürfen.

Bukavu war während des Kongokrieges 1998–2003 Hochburg des Widerstandes gegen die von Ruanda unterstützten ostkongolesischen RCD-Rebellen (Kongolesische Sammlung für Demokratie), die heute in Kongos Allparteienregierung mitregieren. Heute sieht sich die Stadt an vorderster Front gegen das, was Kongos Präsident Joseph Kabila in einer Rede an die Nation am Donnerstag ein „kriminelles Abenteuer“ Ruandas genannt hat. Ruanda hatte letzte Woche eine Militäraktion angekündigt, um zwei Jahre nach dem Abzug seiner Truppen aus Ostkongo die noch rund 15.000 ruandischen Hutu-Milizionäre zu „neutralisieren“, die bis heute unter Führung einstiger Täter des ruandischen Völkermordes dort stehen. Kabila, der dazu eine Woche lang schwieg, will nun 10.000 Soldaten losschicken, um „die Aggressoren hinauszuwerfen“.

Ruanda bestätigt einen Einmarsch im Kongo nicht. Doch in der an Süd-Kivu angrenzenden Provinz Nord-Kivu, in deren Hauptstadt Goma die einstigen RCD-Rebellen anders als in Bukavu weiterhin an der Macht sind, sind die Ruander zahlreichen Berichten zufolge längst wieder da – bis zu 6.000, heißt es. Aus der Gegend um Lusamambo, ein Hauptquartier der Hutu-Milizen rund 150 Kilometer nördlich von Goma, fliehen nach UN-Angaben Tausende Zivilisten vor Kämpfen zwischen Hutu-Milizen und „unidentifizierten Männern“. Vier Dörfer sind in Flammen aufgegangen. „Wir erwarten in den nächsten Tagen noch mehr Vertriebene“, sagte gestern Bernard Le Flaive, Leiter des humanitären UN-Büros in Goma. Es gibt aber auch Spekulationen, dass die ruandischen Truppen nach diesem Militärschlag schon wieder auf dem Rückweg seien.

Aber in Bukavu sind viele Leute davon überzeugt, dass nun Süd-Kivu an der Reihe ist. Es zirkulieren Gerüchte, wonach Ruanda am Grenzübergang Kamanyola südlich von Bukavu 20.000 Soldaten zusammengezogen habe. Falsch, sagt ein Geschäftsmann, der am Mittwoch da durchfuhr: es waren nur zwei.

Während nun international die Sorge um ein Ende des Friedensprozesses im Kongo wächst, finden die Ostkongolesen selbst die Situation ganz normal. Sie kennen seit mindestens acht Jahren nichts als Krieg, trotz Friedensprozess. Von Frieden kann keine Rede sein, wenn Hunderttausende von Quadratkilometern von irregulären Milizen kontrolliert werden, die die Leute ausrauben und vergewaltigen.

Der neue Krieg Ruandas im Ostkongo setzt also keinem Frieden ein Ende, sondern verschärft einen bestehenden Kriegszustand. In diesem waren die ruandischen Hutu-Milizen zuletzt die größten Verbrecher. „Sie terrorisieren die Menschen und haben die Gebiete besetzt, die Ruandas Armee bei ihrem letzten Abzug hinterließ“, sagt der Leiter einer Bauernorganisation in Bukavu. 78 Prozent der Vergewaltigungen, die Bewaffnete in Süd-Kivu an Zivilistinnen begehen, gehen auf das Konto der Hutu-Milizen, sagt in Bukavu die GTZ-Büroleiterin Christine Schuler, die Vergewaltigungsopfer im Alter von anderthalb bis 84 Jahre betreut. 10.000 Frauen haben sich seit 2002 als Opfer gemeldet, wohl nur ein Bruchteil der realen Zahl.

Ruandas Intervention könnte nun aber Kongo erneut in ein Bündnis mit den Hutu-Milizen treiben. In seiner Rede an die Nation maß Präsident Kabila bereits mit zweierlei Maß. Die „Aggressoren“, also Ruandas Armee, werde man „hinauswerfen“, sagte er; den „bewaffneten ruandischen Gruppen auf unserem Gebiet“, den Milizen also, werde man sich „entgegenstellen“.

Im Distrikt Walungu südlich von Bukavu hatte Kongos Armee eigentlich im Oktober zusammen mit der UNO eine Operation begonnen, um die dort sehr starken Hutu-Milizen zunächst von der Notwendigkeit einer Demobilisierung zu überzeugen und ab 2005 Gewalt anzuwenden. Ende letzter Woche kündigte Bukavus Militärkommandant die Operation auf. Zugleich wurde einer seiner Offiziere festgenommen, weil er den Milizen Waffen verkauft hatte.

Die unmittelbare Gefahr einer Eskalation kommt aus zwei Richtungen. Die eine ist die angekündigte Truppenentsendung Kabilas nach Goma. Wenn die Soldaten aus Kinshasa die ruandischstämmigen Kongolesen als Feinde ansehen, könnten sich letztere erneut in die Rebellion mit Hilfe Ruandas begeben, und „dieses Mal wäre es kein Krieg um die Macht in Kinshasa, sondern um die Teilung des Landes“, wie einer von ihnen in Goma sagt. Zum anderen droht ein regionaler Krieg. Uganda schickte gestern seinen Verteidigungsminister und seinen Generalstabschef nach Kinshasa. Zuletzt hatten Uganda und Ruanda sich gegenseitig der Unterstützung ihrer jeweiligen bewaffneten Regierungsgegner bezichtigt.

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