Der Chef vom Tankstellenteam

Hajo Schumacher fragt sich: Soll man Roland Koch verehren oder verachten? Am Ende wird ihm Koch gefährlich sympathisch

Roland Koch war immer der Schnellste. So rasch und zielstrebig wie der Hesse hat keiner in der CDU Karriere gemacht. Mit 19 bereits im Stadtrat, mit 29 im Landtag, mit 40 Ministerpräsident. Bei einer solchen Laufbahn ist 46 ein angemessenes Alter für die erste umfangreiche Biografie.

Pech für Verlag und Autor: Sie erscheint in einer Phase, in der Kochs Aufstieg erstmals ins Stocken geraten ist. Derzeit ist er nur einer von vielen Männern in der CDU, die Angela Merkel den Vortritt lassen mussten. Das irritiert auch Kochs Biograf Hajo Schumacher so, dass er gleich zwei Schlusskapitel präsentiert: „Zehn Gründe, warum Koch auf jeden Fall Kanzler wird“ – und anschließend zehn Gründe, warum das nicht klappt. Nun könnte man sagen, ein Biograf muss kein Prophet sein, aber diese Unentschiedenheit ist typisch für Schumachers Buch.

„Koch kann man nur verehren oder verachten. Dazwischen gibt es nichts“, stellt er am Anfang apodiktisch fest, um anschließend auf gut dreihundert Seiten das Gegenteil zu beweisen. Es gibt sehr wohl etwas dazwischen, nämlich eine Haltung, wie er selbst sie einnimmt: Schumacher bleibt bis zum Ende ambivalent. Unrecht, lernt man, haben sowohl die Koch-Fans als auch die Koch-Hasser.

So clever, wie seine Verehrer denken, ist der Hesse nicht, sonst hätte er Merkel längst schon überlistet. Am Beispiel der Steuerreform weist Schumacher nach, dass Koch weit weniger prinzipientreu ist, als er gilt. Und wer bisher Kochs Stärke bewundert hat, wird schonungslos über seine Schwächen aufgeklärt: Zu vielen Terminen kann sich Koch nur vollgepumpt mit Medikamenten schleppen, sein Herz ist schwach. Solche Informationen könnten Koch im Machtkampf vielleicht schaden, insgesamt jedoch wird ihm das Buch wohl eher nützen. Denn Schumacher legt nahe: So durch und durch grauenvoll und böse, wie seine Feinde denken, ist er gar nicht.

„Wir müssen dringend nach Hause“, zitiert Schumacher einen SPD-Politiker, der mit Koch einmal auf Auslandsreise war. „Einen Tag länger, und dieser Koch fängt an, mir sympathisch zu werden.“ So geht es auch dem Autor: „Je näher man ihm kommt, desto sympathischer wird er.“ Je länger man das Buch liest, desto deutlicher spürt man: Schumacher muss Koch sehr nah gekommen sein. Das hat den Vorteil, dass er spannende, brillant geschriebene Geschichten liefern kann. Ein Sittengemälde der guten, alten West-CDU. Man lernt Kochs gesamtes Netz kennen, all die Jungs (und ein Mädel) von der Jungen Union in Hessen, die sich an einer Autobahnraststätte zum ersten Mal trafen, ein Bündnis schmiedeten und bis heute als „Tankstellen“-Team zusammenhalten.

Koch war von Anfang an der Chef, der Schlaueste und Fleißigste, nur nach Cola süchtig und in jeder Lebenslage interessiert an „Effizienz“. In einer besonders hübschen Szene erzählt Schumacher, wie der kleine Roland Spaß daran fand, den elterlichen Rasen millimetergenau zu schneiden. Alles interessant, mitunter grotesk, halb spöttisch, halb liebevoll notiert.

Problematisch wird die Nähe später. Schumacher schafft es selbst bei der Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und der hessischen CDU-Spendenaffäre, keine echte Wertung abzugeben. Klar, Koch hat sich eines „miesen Spiels mit Vorurteilen“ bedient, um an die Macht zu kommen. Klar, er hat gelogen und getrickst, um an der Macht zu bleiben. Aber war das wirklich gar so schlimm, sind das Gründe, die Koch unmöglich machen? Schumacher enthält sich und schildert lieber Begleitumstände, die Koch entlasten: Die Unterschriftenidee hat sich schließlich nicht er, sondern Wolfgang Schäuble ausgedacht. Die Probleme mit den Spenden hat er sich nicht selbst, die hat ihm Vorgänger Kanther eingebrockt. Und vor allem: In beiden Fällen haben es Medien und Opposition mit ihrer Kritik doch etwas übertrieben.

„Man muss Roland Koch nicht mögen“, schreibt Schumacher über die Spendenaffäre, „aber der Hype in diesen Tagen überstieg das Maß dessen, was einem Menschen, selbst einem Politiker zuzumuten ist.“ Oh je. Koch kann froh sein, dass Schumacher sein erster Biograf ist: Er mutet ihm nicht wirklich viel zu. LUKAS WALLRAFF

Hajo Schumacher: „Roland Koch. Verehrt und verachtet“. 352 Seiten, Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. M. 2004, 9,90 Euro